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Sport: Nach ihrem Kampf gegen den Krebs schließen die Schweden Ludmila Engquist endlich ins Herz

Krebs! Wie ein Drachen fauchte das schreckliche Wort durch die alten Gemäuer des Stockholmer Olympiastadions von 1912.

Krebs! Wie ein Drachen fauchte das schreckliche Wort durch die alten Gemäuer des Stockholmer Olympiastadions von 1912. Aber am Freitagabend war die Stunde gekommen, in der Ludmila Engquist, die Olympiasiegerin über 100 m Hürden, den Besuchern des Leichtathletik-Grand-Prix-Meetings zeigen wollte, dass sie den Schrecken besiegt hatte. Die Krankheit war erst am 17. Mai entdeckt worden, trotzdem gewann sie gleich zum Saisoneinstand gegen ein Weltklassefeld. Ihre Zeit von 12,67 Sekunden würde leicht wieder reichen fürs Finale der besten Acht bei den in drei Wochen anstehenden Weltmeisterschaften in Sevilla. Dort will sie hin, jetzt sind alle Zweifel beseitigt.

Kaum war sie durchs Ziel gerannt, verwandelte sich der alte wunderbare Backsteinbau in ein Tollhaus. Die Leute hielt es nicht mehr auf den Sitzen. Sofort lag sie in den Armen ihres Ehemanns und Trainers, und das Foto von ihrer gegenseitigen Liebkosung füllte am nächsten Morgen die ersten Seiten von "Aftonbladet" und "Expressen" ganz alleine aus. "En Seger för Livet". "Du är best, min älkling." Sieger, Leben, Liebling. Es war die innigste, neun und fünf Zeitungsseiten füllende Dreifaltigkeit dieses herrlichen Sommerabends.

Der Veranstalter hatte mit einer Pressemitteilung schon zum Wochenbeginn neben der Aufmerksamkeit auch das Schaudern geweckt: " . . . wurde ihre rechte Brust entfernt". Eine bizarre Ente, zum Glück für die 35jährige. Der Schaden war noch rechtzeitig entdeckt worden. Ein chirurgischer Eingriff wurde nicht notwendig. "Ich lebe noch," rief sie der Außenwelt zu. Mehr noch: "Ich fühle mich großartig und hoffe, daß ich keine Tumore mehr habe." Nicht eine Trainingseinheit habe sie dem Krebs geopfert, ihr Arzt gab ihr für das Rennen grünes Licht.

Die Schweden schlossen sie am Freitag in ihr Herz. Sie war ja eine Fremde, die noch rechtzeitig eingebürgert wurde, um in Atlanta an den Olympischen Spielen teilnehmen zu können. Sie ist eine gebürtige Russin. Unter dem Namen Naroschilenko gewann sie WM-Gold 1991, unter Engquist WM-Gold 1997. Aber in ihrer sportlichen Karriere war nicht alles Gold, was glänzte. Im Februar 1993 wurde sie bei einem Hallensportfest in Liévin (Frankreich) mit eindeutig zu viel Anabolika im Urin erwischt. Der Weltdachverband sperrte sie für vier Jahre, ließ sie jedoch im Dezember 1995 wieder laufen. Ein Moskauer Gericht hatte nämlich ihrer Einlassung geglaubt, ihr verflossener Ehemann habe ihr das Zeug heimlich unter die Nahrung gemischt, und sie freigesprochen. In der facettenreichen Geschichte der Doper und ihrer stets neuen famosen Argumente gilt diese doch ziemlich dünne Deutung seitdem als die klassische russische Variante.

Der andere Star des Abends war der Amerikaner Maurice Greene, der mit 9,87 Sekunden seinen eigenen 100-m-Weltrekord nur um acht Hundertstel verfehlte. Sein noch prominenterer Landsmann Michael Johnson, in Atlanta Doppelolympiasieger über 200 m und 400 m, trudelte auf der Bahnrunde plötzlich auf der Gegengeraden aus und zeigte sein rechtes Bein her. Dann ließ er sich auf der Bahn nieder, und drei Helfer legten ihm riesige Bandagen um den Unterschenkel. Kleine Ursache, große Außenwirkung. "No comment", tat er lediglich kund. Der Mann ist nur nett, wenn er gewinnt. Vielleicht wird er auf die kommende Weltmeisterschaft verzichten. Doch das ist noch nicht sicher.

Die hohe Zeit der Weltrekorde von 800 m an aufwärts neigt sich offenbar dem Ende zu. Diesmal versuchten sich vergeblich die Kenianer Noah Ngeny über 2000 m (4:50,08 Minuten) und Paul Tergat über 10 000 m (27:10,08). Auf Platz drei verbesserte der Portugiese Antonio Pinto mit 27:12,47 Minuten den Europarekord seines Landsmannes Fernando Mamede aus dem Jahr 1984 um 1,34 Sekunden.

Robert Hartmann

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