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Claudia Pechstein könnte mit ihrer Klage die Sportgerichtsbarkeit revolutionieren.

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Nach Urteil zu Athletenvereinbarung: Wie der Fall Pechstein die Sportgerichte verändert

Prozesskostenhilfe, Öffentlichkeit und unabhängige Richter - was in deutschen Gerichten normal ist, gilt an Sportgerichten häufig nicht. Nach einem Urteil des Münchner Landgerichts könnte sich das bald ändern. Dann wird der Fall Pechstein zu einem Fall für den Bundestag.

Der Traum von Gold beginnt mit einer Unterschrift. Zumindest im Spitzensport. Wer an den olympischen Spielen teilnehmen will, muss beim Deutschen Olympischen Sportbund einen dreiseitigen Vertrag unterzeichnen und verspricht damit nicht zu dopen, nicht zu werben – und nicht zu streiten. Und falls doch, dann nur vor einem sportlichen Schiedsgericht. Marius Breucker, Anwalt der Deutschen Eisschnelllaufgemeinschaft (DESG) nennt es deswegen etwas ketzerisch das dritte Gebot der Sportgerichtsbarkeit: "Du sollst keine anderen Gerichte haben neben mir." Das Münchner Landgericht fand dafür eine noch viel härtere Beschreibung: "unwirksam." Das Landgericht, das eigentlich nur eine Schadenersatzklage der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein gegen den Internationalen Eisschnelllaufverband hatte abweisen wollen, stellte damit in einem Nebensatz plötzlich die ganze Sportgerichtsbarkeit in Frage. Viele Anwälte und Athleten sagen: zu Recht.

Wenn Pechstein Hundezüchterin wäre...

Der Fall Pechstein erinnert auf eigentümliche Weise an die sogenannte Hundezüchter-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) von 2002. Damals klagte ein Hundezüchter (Pechstein) gegen eine Vereinsstrafe (Dopingsperre) des Deutschen Schäferhunde Vereins (Internationaler Eisschnelllaufverband) vor einem deutschen Gericht. Der Schäferhunde-Verein argumentierte, das gehe nicht, denn in der Vereinssatzung (Athletenvereinbarung) sei geregelt, dass bei Streitigkeiten der Rechtsweg ausgeschlossen sei und stattdessen ein ziviles Schiedsgericht (Internationaler Sportgerichtshof, CAS) angerufen werden müsse. Der BGH stellte aber fest: "Der Kläger war, wenn er seine züchterische Tätigkeit fortsetzen wollte, auf die Mitgliedschaft in dem beklagten Verein angewiesen." Die Vereinbarung sei daher erzwungen und damit bedeutungslos.

Viele Sportler können sich Prozesse nicht leisten

So schräg er auch klingt, der Vergleich hinkt nicht: "Es fehlt bei der Unterzeichnung der Schiedsgerichtsvereinbarung zwischen Sportler und Verband so gut wie immer die Freiwilligkeit der Sportler", sagte der Hamburger Sport-Anwalt Jan Räker der Deutschen Presse-Agentur. Das Urteil des Münchner Landgerichts im Fall Pechstein, bisher noch nicht rechtskräftig, hat daher gute Chancen, in dritter Instanz vom BGH bestätigt zu werden. DESG-Anwalt Marius Breucker, der für die Gegenseite mit Pechsteins Klage befasst war, mahnt daher rasche Reformen an, damit Sportler sich wirklich freiwillig der Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen. So müsse es etwa künftig möglich sein, Verfahren vor dem CAS auf Wunsch der Athleten öffentlich zu führen, sagte er dem Tagesspiegel. Wie bei einem normalen Gericht solle eine Prozesskostenhilfe eingeführt werden, da viele Athleten sich die Verhandlungen vor dem Schiedsgericht nicht leisten könnten. Auch die Auswahl der Schiedsrichter müsse reformiert werden: "Das Gremium zur Errichtung der Schiedsrichterliste müsste paritätisch, nicht überwiegend durch olympische Komitees und Sportverbände besetzt sein", sagte Breucker.

Gesetzliche Grauzone

Fraglich ist zudem, ob überhaupt sämtliche Belange vor einem Sportgericht verhandelt werden müssen. "Ob jemand im Abseits steht, sollte nicht per Gesetz geregelt werden. Anderes mag für die Frage gelten, ob jemand zwei Jahre lang seinen Beruf nicht ausüben darf", sagte Breucker. Mit einer Trennung könnte eine gesetzliche Grauzone geschlossen werden.

Seit langem wenden sich Sportler dagegen, dass mit den Athletenvereinbarungen durch die Hintertür ein Berufsrecht geschaffen wurde, denn sie verdienen mit dem Sport ja ihren Lebensunterhalt. Für wesentliche Eingriffe in die Berufsfreiheit bedarf es in Deutschland aber einer gesetzlichen Grundlage. Die gibt es bisher für Spitzensportler nicht. Damit könnte der Fall Pechstein mittelfristig auch zu einem Fall für den Deutschen Bundestag werden, der als Gesetzgeber die Ansprüche regeln müsste. Aus Sicht von Rechtsanwälten würde aber auch das nicht ausreichen. Sport ist international, einem Dopingsünder in China müssen also die gleichen Konsequenzen drohen, wie einem Dopingsünder in Deutschland. Sport-Anwalt Breucker schlägt deshalb einen völkerrechtlichen Vertrag vor. Ganz abwegig ist das nicht. Denn auch bei den Vorschriften der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) und der Unesco-Konvention gegen Doping haben sich Staaten international schon in sportliche Belange eingemischt. Bis es soweit ist, müssen aber noch viele Unterschriften geleistet werden.

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