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Sport: Nachsitzen für den Sport

Deutsche Kinder können immer schlechter laufen, werfen und fangen – Lehrer und Vereine fordern nun besseren Unterricht

Von Jutta Heess

Berlin. Marc schnauft. Schweißtropfen stehen auf seiner Stirn. Doch so sehr sich der Achtjährige anstrengt: Den Ball bekommt er nicht. Er ist zu langsam. Und als ein Kind aus der gegnerischen Mannschaft einen schlechten Wurf platziert, landet der Ball direkt auf Marcs dickem Bauch. „Im Fangen bin ich nicht gut“, gibt der Junge mit rotem Kopf zu. „Aber die anderen können es auch nicht viel besser." Womit er Recht hat. Das Ballspiel in der Sportstunde einer rheinland-pfälzischen Grundschule sieht ziemlich unbeholfen aus.

Viele Kinder wirken unsicher in ihren Bewegungen: im Laufen, Werfen, Fangen, im Ausweichen. Und viele sind zu dick. Ein unsportlicher Haufen, die Jugend von heute. Was nach einem modernen Klischee klingt, hat eine aktuelle Studie des Karlsruher Instituts für Sport und Sportwissenschaft bestätigt: Es wurden Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit von 1500 Kindern im Alter zwischen sechs und elf Jahren an 66 Schulen getestet.

Im Vergleich zu 1980 ist das Ergebnis erschreckend. Die motorischen Fähigkeiten der Kinder haben sich drastisch verschlechtert, 16 Prozent sind übergewichtig. Und ein Drittel der Kinder spielt nur einmal in der Woche oder sogar seltener im Freien.

Stimmt es also doch, dass heutzutage der Fernseher mehr läuft als die Kinder? Und aufregende Computerspiele das Toben mit Freunden ersetzt? Peter Hanisch, Präsident des Landessportbundes Berlin, sagt Ja. „Zu viele Kinder sitzen zu oft vor der Glotze.“ Und er fügt hinzu, dass bei Schuleingangsuntersuchungen bei 20 Prozent der Kinder motorische Defizite diagnostiziert werden. „Einfache Aufgaben wie rückwärts laufen, balancieren oder auf einem Bein stehen können die Kleinen teilweise nicht mehr." Nach dem Pisa-Schock hat nun der Sport ein Problem.

Schon gibt es erste Pläne, der Jugend auf die Sprünge zu helfen. In Nordrhein-Westfalen etwa wurde im Mai von Landesregierung und Sportbund ein Aktionsprogramm zur Förderung von Schulen und Sportvereinen vereinbart. In Hessen startete das Kultusministerium Anfang September die Initiative „Turnen in der Grundschule". Und in Berlin wurde Anfang des Jahres die „Offensive Schulsport“ ins Leben gerufen. In der Hauptstadt soll das ganze Sportsystem untersucht und reformiert werden. „In Berlin sind zurzeit lediglich 15 Sportlehrer unter 30 Jahre alt, das Durchschnittsalter liegt bei 49“, sagt Hanisch. Wenige Neueinstellungen hätten zur Überalterung der Sportlehrer geführt. An Grundschulen werde Sportunterricht außerdem zu 60 Prozent von fachfremden Lehrern gehalten, Unterrichtsausfall gehe häufig zulasten der Sportstunden. Eine Tatsache, die auch in anderen Bundesländern beklagt wird. In Berlin zumindest wird sich das wohl erst nicht bessern: Durch die Schließung des sportwissenschaftlichen Instituts der Freien Universität werden bis 2009 in Berlin nur noch 400 Sportlehrer ausgebildet – im selben Zeitraum wären jedoch 800 Stellen zu besetzen.

Der Berliner Sport will nun mit Reformen ernst machen. In diesem Jahr stehen für die Sportoffensive 150 000 Euro zur Verfügung. Förderung der Sportlehrerausbildung, Ausbau der Sportstätten und die Sicherstellung der dritten Schulsportstunde in der Woche – das sind die Ziele des Programms. Die angestrebte Stärkung des Schulsports soll auch verhindern, dass Unterrichtsreformen nach Pisa zulasten des Sportunterrichts gehen. „Wir befürchten, dass Fächer wie Sport, Musik und Kunst hinten runter fallen," sagt Ute Markl, Referentin für Schulsport der Deutschen Sportjugend. Deshalb arbeite auch der Deutsche Sportbund an einer „Qualitätsoffensive im Schulsport". Anfang 2003 soll eine ausführliche Untersuchung des Sportunterrichts an deutschen Schulen beginnen. Die Ergebnisse dieser Studie, die von der Kultusministerkonferenz unterstützt wird, können voraussichtlich im Jahre 2004 veröffentlicht werden. „Außerdem wollen wir ab 2003 jedes Jahr Schulsportprojekte und Schulsportförderer auszeichnen“, erklärt Markl.

Gut abschneiden wird dabei sicherlich eine ganz besondere Schule in Hessen. In der Friedrich-Ebert-Grundschule in Bad Homburg steht seit sieben Jahren der Sport jeden Tag auf dem Stundenplan. Wissenschaftliche Untersuchungen, die diesen Modellversuch begleiteten, haben ergeben, dass die Schüler dieser Schule weniger aggressiv und seltener übergewichtig sind. Zudem können sie sich im Unterricht besser konzentrieren. Das verblüffendste Ergebnis aber ist: Die Lehrer konnten 15 Prozent mehr Schüler für das Gymnasium empfehlen.

Vielleicht ließe sich das Pisa-Problem ja ganz einfach beheben: in der Turnhalle.

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