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NACHSPIEL Zeit: Clint Eastwood in Johannesburg

Esther Kogelboom weiß, warum viele Südafrikaner so früh heiraten: Sie gruseln sich

Mein Schlüsselbund wiegt ungefähr ein Kilo. So viel Schlüssel- und Fernsteuerungsmaterial braucht es, um in meine neue Wohnung in Johannesburg zu gelangen. Selbst schuld, ich hatte ja nicht in ein bewachtes Hotel gewollt.

Die Sicherheitseinweisung meines Vermieters dauerte etwa so lange wie das WM-Eröffnungskonzert. Er sagte: „Diese Alarmanlage ist übrigens nicht an einen privaten Sicherheitsdienst angeschlossen. Der kommt sowieso erst dann, wenn du schon in deinem Blut schwimmst.“ Ich lachte. Er nicht.

Meine beiden Lieblingssicherheitshinweise: Die fünf verschiedenen Schlösser der Eingangstür blitzschnell aufschließen, damit mich niemand beim Eintreten überfallen kann. Sich nicht auf dem Balkon blicken lassen, jemand aus dem Haus gegenüber hat vor kurzem auf meinen Vermieter geschossen – nur so, aus Spaß.

Ich fragte ihn, ob es denn okay ist, wenigstens zum nächsten Restaurant zu Fuß zu gehen. Er guckte mich an, wie man einen angefahrenen Igel anguckt: „Mann, bist du europäisch.“ Ich sagte: „Ich muss aber ab und zu mal zu Fuß gehen, sonst werde ich verrückt.“ Er empfahl entweder den Johannesburger Zoo oder ein Fitnessstudio, wo ich auf dem Laufband laufen könne. Ich müsse aber vorsichtig sein, es sei in einer etwas „dodgy“ Gegend. „Dodgy“ – ein Adjektiv, das hier häufig fällt. Es beschreibt alles, was zwar nicht vordergründig gefährlich ist, sich jedoch rasch zu einer Bedrohung entwickeln könnte. Ein einsamer Parkplatz oder eine Unterführung sind zum Beispiel dodgy. Oder ein Restaurant, über das irgendjemand vor Jahren einmal gesagt hat, die Meeresfrüchte dort seien nicht ganz frisch.

In Berlin wäre etwa der Bahnhof Lichtenberg dodgy oder ein Ekellistenrestaurant.

Als er endlich gegangen war, verriegelte ich die Tür von innen, klemmte einen Stuhl unter die Klinke und schraubte eine Flasche Sauvignon Blanc auf. Ich sehnte mich nach einer Zigarette, aber mein Vermieter ist Nichtraucher. Ich schielte Richtung Balkontür. Ach, was sollte schon passieren? Ich löschte alle Lichtquellen. Schwungvoll drehte ich den Schlüssel um und öffnete die Balkontür. Draußen war es bereits dunkel, man würde von gegenüber also nur die Glut meiner Zigarette sehen können. Nichts passierte, niemand schoss auf mich, total langweilig. Trotzdem fühlte ich mich ein bisschen so wie Clint Eastwood in der Schlussszene von „Gran Torino“.

Mit einem Mal wurde mir klar, warum viele Südafrikaner so jung heiraten. Vielleicht weniger aus Liebe, sondern weil Alleinsein hier einfach gruselig ist. Wenn man allein ist, hört man nachts Geräusche und muss auch alleine vom Auto in die Wohnung. Verheiratetsein dagegen ist eine Art Sicherheitsmauer fürs Herz, mit fünfgliedrigem Elektrozaun obendrauf – man hat alles Notwendige in die Wege geleitet, aber natürlich kann trotzdem immer was passieren. Ich war gerade dabei, eine Gedenkminute für alle tapferen Singlefrauen Johannesburgs einzulegen, da wehte eine leichte Brise die Balkontür ins Schloss. Bamm.

Mein Herz klopfte so laut, dass es ohne Probleme die Nachbarn hätte aufwecken können. Ich drückte mit zitternden Händen die Zigarette aus, tastete nach meinem Handy und rief den Vermieter an: „Ja, ich bin’s, ich hab’ mich leider ausgesperrt ... nein, äh, auf dem Balkon.“ Als er wenige Minuten später die Wohnungstür aufschloss und die Klinke herunterdrücken wollte, blieb er an dem Stuhl hängen. Er ruckelte und schob und drückte – und löste damit versehentlich den Alarm aus. „IUIUIUIU“, schrillte es durch die Straße, und ich werde das Gefühl nicht los, es hallt immer noch nach.

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