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NACHSPIEL Zeit: Ich trage eine Fahne

Harald Martenstein überwindet sich, eine deutsche Flagge zu kaufen, und hat nur Probleme

Ich habe etwas getan, von dem ich niemals gedacht hätte, dass ich es tun würde. Ich habe eine deutsche Fahne gekauft.

Alle schwenken im Stadion Fahnen. Es ist Teil des Rituals. Bei einer Party tanzt man, beim Grillen trinkt man aus der Flasche, im Stadion, bei der WM, schwenkt man eine Fahne. Es bedeutet nicht, dass man die Welt erobern oder andere Völker plattmachen will.

Wie ich schon rede. Ich bin ja das schlechte Gewissen in Reinkultur. Meine Generation hat doch gar nichts ausgefressen. Die Jungen haben kein Problem mit der Fahne, null problemo, nur meine Generation, wir haben das Problem.

Die Straßenhändler mit den Fahnen stehen immer an den Kreuzungen. Der Händler kam an das Auto, ich sagte „Germany“, er sagte: „No problem.“ Die Fahne kostete 60 Rand, fast acht Euro, es war eine ziemlich kleine Fahne. Nach Ansicht meiner Gastgeber hat der Fahnenhändler mich übers Ohr gehauen. Es war nicht mal eine Halterung fürs Auto dabei. Also habe ich die Scheibe auf der Fahrerseite ein Stück heruntergelassen, die Fahne durch das Fenster gesteckt, die Scheibe wieder hochgefahren, automatisch, und die Fahne war festgeklemmt. Ich war jetzt ein Fan. Der Fahnenmast war aber aus Plastik und innen hohl. Er ist nach ein paar Minuten abgeknickt. Mit dieser abgeknickten Fahne hat das Auto international sicher keinen guten Eindruck gemacht.

Während der Hymnen standen alle auf, nur ein deutscher Kollege blieb sitzen. Das Problem ist, dass man, wenn man während der Hymne des anderen Landes sitzen bleibt, zu verstehen gibt, dass man das andere Land nicht respektiert. Wenn man aber nur während der deutschen Hymne sitzt, und bei der anderen steht, sendet man das Signal, dass man alle Länder respektiert, bloß das eigene nicht.

Dann schwenkten alle ihre Fahnen. Interessanterweise waren nicht nur die beiden Länder vertreten, die gegeneinander spielten, sondern auch Fahnen anderer Länder, sogar von Ländern, die bei der WM überhaupt nicht dabei sind, zum Beispiel der Libanon. Ich habe auch bemerkt, dass dieses bescheuerte Fußball-Lied „Olé, olé, olé, olé“, das ich immer für ein deutsches Phänomen gehalten habe und für eine Folge von Ballermann auf Mallorca, in Wirklichkeit international ist. Alle Fans singen das, zumindest die Europäer. Auch das Zahlenverhältnis zwischen grölenden, betrunkenen, unangenehmen Fans und freundlichen Fans ist international ungefähr gleich, nur die Engländer sind definitiv betrunkener und tendenziell aggressiver als die anderen.

Ich habe den krummen Plastikfahnenmast wieder gerade gebogen. Als ich meine Fahne schwenken wollte, merkte ich, dass die Fahne an dem Mast runterrutschte, das war wirklich ein Billigprodukt. Ich musste die Fahne also mit einer Hand festhalten, damit sie nicht wegrutschte, mit der anderen Hand konnte ich sie dann schwenken. Diese beidhändige Operation wurde mir bald zu viel. Ich habe meine Fahne auf den Boden gelegt, Menschen aus allen Nationen liefen über die Fahne. Als ich ging, habe ich die schmutzige Fahne mitgenommen, in den Müll wollte ich sie nicht tun, und als ich das Quartier wechselte, habe ich die Fahne, die erste deutsche Fahne, die ich jemals besaß, zurückgelassen. Sie war mir nicht heilig, und sie war von minderer Qualität, ganz bestimmt war sie nicht Made in Germany.

Was kommt als nächstes? Werde ich jetzt auch Vegetarier, Hundebesitzer und Abstinenzler, wie Adolf Hitler? Das ist gut möglich. Aber „Olé, olé, olé, olé“ werde ich niemals singen, und zwar aus rein musikästhetischen Gründen.

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