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NACHSPIEL Zeit: Max, der Gorilla, und der Geruch von Kieferöl

Esther Kogelboom versucht, am Rande des weltgrößten Sportereignisses selbst fit zu werden

Ich konnte meine Beine nicht mehr spüren. Seit Wochen hatte ich sie, mal abgesehen von den Wegen zum Auto, im Prinzip nicht mehr benutzt. Das ist besonders schauerlich, weil man ja wegen eines Sportereignisses hier ist und jeden Abend Sätze ruft wie „Mann, lauf doch, du Penner!“ Aber wo bitte joggt man in Johannesburg? Ich hätte nie gedacht, dass ich den Jahnsportpark mit seiner federnden Tartanbahn einmal vermissen würde.

Also schnürte ich meine Laufschuhe, sicherte die Wohnungstür und sprintete zum Auto. Dort fiel mir auf, dass ich die Wasserflasche vergessen hatte. Ich rannte zurück zur Wohnungstür, deaktivierte den Alarm, schloss vier Schlösser auf, holte das Wasser, aktivierte den Alarm und schloss vier Schlösser wieder zu. Das schaffe ich mittlerweile in unter zehn Minuten.

Ich programmierte Werner Richtung Zoo. Überraschung schwang in seiner Stimme, als er sich vergewisserte: „Zoo Lake als Ziel verwenden?“ Genervt drückte ich den „Nein“-Button. Langsam entwickelt sich zwischen Werner und mir eine komische Stimmung. Ich zog ihn aus dem Zigarettenanzünder, sofort färbte sich sein Display schwarz. Dass ich den Zoo auch ohne ihn fand, ist ein Meilenstein unserer Beziehung. Man muss auch mal Grenzen setzen.

In freier Wildbahn zu joggen, das schien mir zu riskant - obwohl man manchmal in den besseren Wohngegenden Frauen in Funktionskleidung am Straßenrand entlanglaufen sieht, allerdings meist im Zentrum einer Herde von nicht gerade freundlich aussehenden Rottweilern. Es war wunderbar im Zoo, die Sonne strahlte bei knackigen 12 Grad. Leider litt ich schon nach zehn Minuten Rennerei unter der dünnen Luft – Johannesburg liegt knapp 1700 Meter über dem Meeresspiegel. Ich japste.

Vor dem Primatengehege legte ich eine Verschnaufpause mit Stretching ein, ein junger Pavian äffte mich nach. Ich winkte ihm zu, er winkte zurück und dehnte seine Beinchen. Verstört trabte ich weiter, da fiel mir ein Gedenkstein auf, vor dem frische Blumen lagen. Es war der Gedenkstein für Max, den Gorilla. Ich schrieb „Max, der Gorilla“ in meinen Reporterblock, gleich neben die Telefonnummer des nigerianischen Rausschmeißers, der mich neulich aus einer unangenehmen Situation befreit hatte.

Jetzt spüre ich meine Beine endlich wieder. Der Muskelkater ist allerdings schlimm. Jeder Schritt schmerzt. Nie wieder werde ich „Mann, lauf doch, du Penner!“ rufen. Das Entmüdungsbad in Latschenkieferöl hat auch nicht geholfen. Die Kollegen verspotten mich, weil ich rieche wie ein Nadelgehölz. Die Kollegen tragen inzwischen Vollbärte, rauchen wie die Schlote und machen einen zerzausten Eindruck, aber das behalte ich natürlich für mich. Denn innerlich bin ich inzwischen auch ziemlich zerzaust.

Ich beschloss, ein bisschen was über Max, den Gorilla herauszufinden. Hier meine Recherche-Ergebnisse: Vor ein paar Jahren floh ein Verbrecher vor der Staatsgewalt in den Zoo. Er sprang in das Gorilla-Gehege, um sich dort zu verstecken, doch die Polizisten waren schnell – sie stellten den Mann, mussten Max jedoch ein paar Kugeln verpassen, damit er von dem Verbrecher abließ. Beide überlebten den Vorfall und wurden ins nahe gelegene Krankenhaus in Milpark transportiert. Der Verbrecher wurde wegen aller möglichen Schandtaten zu 40 Jahren Haft verurteilt, der Gorilla starb einige Jahre später an Herzversagen. Max war übrigens ein deutscher Einwanderer, geboren wurde er im Frankfurter Zoo. Heute werde ich eine Blume auf Max’ Gedenkstein ablegen. Weitermachen ist das einzige, was gegen Muskelkater hilft.

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