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NACHSPIEL Zeit: Ohne Ersatzaugen am Hinterkopf

Esther Kogelboom hat aus Versehen einen Geldtransporter überfallen

Irgendwo habe ich gelesen, dass der gefährlichste Beruf in diesem Land der des Geldtransporterfahrers ist. Die werden ja quasi permanent überfallen. Zwar kann sich kein Mensch morgens darauf verlassen, dass er abends noch lebt – aber ein südafrikanischer Geldtransporterfahrer muss fast schon damit rechnen, abends tot zu sein. Aus diesem Grund werden diesen Männern angeblich königliche Gehälter bezahlt, ja, ein südafrikanischer Geldtransporterfahrer fährt sozusagen sein eigenes Monatsgehalt spazieren.

Geld aus dem Automaten zu ziehen ist in Johannesburg reinster Nervenkitzel. Ich parke meist auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in Melville. Dann schraube ich meine Ersatzaugen an den Hinterkopf und versuche, möglichst entspannt zu wirken, wobei ich ein Liedchen pfeife. So auch gestern Abend, „Waka Waka (This Time For Africa)“. Mein Vermieter hatte mir den Rat gegeben: „Du kannst nicht allen Menschen misstrauen, aber du darfst dich niemals angreifbar machen.“ Seine Worte klangen in meinem Kopf, als ich die müffelnden 100-Rand- Scheine aus dem Geldfach klaubte, aus ihnen eine Wurst rollte, sie in meinen Stiefel steckte und, meinen Elektroschocker fest umklammernd, den Weg zurück zum Auto lief.

Ich weiß noch, wie ich den Zündschlüssel umdrehte und dachte, dass die Paranoia mich nun offiziell fest im Griff hatte. Geld im Schuh! Das musste ich von meinem Vater haben, der seinerzeit mit 16 000 Mark im Schuh mit dem Zug nach Wolfsburg fuhr, um unseren Jahreswagen abzuholen. Ich kicherte und setzte den Wagen zurück.

Krach. Was war das? Bestimmt nur ein Parkpfosten? Da sah ich einen weißen Panzer im Rückspiegel. Ich war gegen einen Geldtransporter gefahren. Noch im selben Moment diktierte mein krankes Gehirn die Meldung: „Johannesburg (dpa). Beim Versuch, einen Geldtransporter zu überfallen, wurde am vergangenen Montag um 18 Uhr Ortszeit eine deutsche Journalistin getötet. Die genauen Umstände sind noch unklar.“ Nie würde ich beweisen können, dass das alles nur ein Missverständnis war, eine beiläufige Unachtsamkeit meinerseits. Das war der Stoff, aus dem Tragödien sind. Gute Nacht, Freunde.

Es half ja nichts. Ich kletterte aus dem Wagen und winkte freundlich in Richtung des schmalen Fensterschlitzes, hinter dem ich den Fahrer vermutete. Die Tür des Geldtransporters öffnete sich, und heraus traten zwei Männer mit kugelsicheren Westen, kugelsicheren Schienenbeinschonern und kugelsicheren Krawatten. Einer von beiden richtete seine Waffe auf mich, so etwas hatte ich noch nie gesehen. „How are you?“, sagte er. „I’m alright, thanks. And you?“, fragte ich halbautomatisch. „Good, good“, sagte er. Das südafrikanische Kommunikationskarussell dreht sich offenbar auch in Extremsituationen. Stotternd und in einem Englisch, das meine frühere Lehrerin zum Weinen gebracht hätte, erklärte ich das Offensichtliche. Dass ich so erzogen bin, anderer Leute Eigentum zu respektieren. Dass ich beim Rückwärtsfahren nicht genau hingeschaut habe. Dass ich Geld generell für überbewertet halte. Dass ich inständig hoffe, eine afrikanische Mannschaft wird Weltmeister. Schließlich sprangen die beiden Panzerfahrer in ihre rollende Zielscheibe zurück. Beim Wegfahren hupten sie. Bestimmt winkten sie auch.

Irgendwie hatte ich es geschafft, sie von meiner Harmlosigkeit zu überzeugen. Leider war die Beule in der Stoßstange unübersehbar. Hauptsache Werner war nichts passiert.

Stets das Schlimmste zu befürchten ist eine etwas anstrengende Eigenschaft, die hier viele Menschen haben. Darum ist die Freude umso größer, wenn sich alles nur als halb so schlimm erweist. Ich glaube, in Deutschland ist es genau andersherum.

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