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Löw

© dpa

Nationalelf: Macht im Spiel

Bundestrainer Löw wird nicht mehr nur als Fußballexperte gesehen. Ihn ärgert, dass beim Anlegen neuer Maßstäbe immer Zweifel an seiner Kompetenz mitschwingen.

Berlin - Vom Mannschaftshotel des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) am Potsdamer Platz hinüber zum Bundeskanzleramt sind es nur ein paar Schritte. Das ist praktisch, denn für den frühen Montagabend hatte Angela Merkel in die Willy-Brandt-Straße 1 eingeladen. „Ein rein privater Termin“, sagt DFB-Sprecher Harald Stenger. Soll bloß keiner auf die Idee kommen, die große Politik wolle Einfluss nehmen auf das, was für den etwas späteren Abend geplant war: die Ansprache des Bundestrainers Joachim Löw an seine Mannschaft, auf die das ganze Land seit Wochen wartet. Der offizielle Schlussstrich unter die öffentliche Kontroverse mit Kapitän Michael Ballack. Keine große Sache, sagt der Bundestrainer, „es geht um ein paar Regeln, die länger bekannt sind“. Allein der Eindruck, er benötige dafür die Hilfe der Kanzlerin, wäre fatal.

Alles schon mal dagewesen. Im März 2006 hatte Jürgen Klinsmann zu einem Höflichkeitsbesuch bei Frau Merkel vorbeigeschaut. Das hätte damals niemanden interessiert, wenn nicht kurz zuvor die Deutschen auf demütigende Art in Italien verloren hätten. Durch dieses 1:4 von Florenz geriet das Tête-à-tête im Kanzleramt drei Monate vor der Weltmeisterschaft in den Rang eines Krisengipfels.

Nun gab es damals eine echte Krise. Klinsmann wackelte und wäre bei einer Niederlage im folgenden Spiel gegen die USA wahrscheinlich gefallen. Zweieinhalb Jahre später aber hat niemand ernsthaft erwartet, Klinsmanns Nachfolger Löw würde über den Streit mit Ballack stürzen. Am Montag in Berlin hat Löw dezent aufgezählt, was er im Kalenderjahr alles erreicht hat. Elf Siege und zwei Unentschieden bei nur zwei Niederlagen, dazu Platz zwei bei der Europameisterschaft. Für diese Bilanz muss sich ein Bundestrainer nicht rechtfertigen.

Michael Ballack und Torsten Frings sind extra zu Löws Ansprache nach Berlin gereist, obwohl sie am Mittwoch gegen England nicht spielen werden. „Michael hat sich entschuldigt, damit ist das Thema erledigt“, sagt Löw. Ja, er hat sich geärgert über Ballack und dessen Adlatus Frings, weil sie beide eine öffentliche Diskussion geführt hatten über Dinge, die eben nicht öffentlich diskutiert gehören. Noch mehr aber hat den Bundestrainer gestört, dass er plötzlich wahrgenommen wird als einer, dem der Erfolg zu Kopf gestiegen sei. Als einer, den die Machtbasis eines Bundestrainers verändert habe. Der autoritär durchgreifen wolle, wo er früher fachlich diskutiert habe.

In seinen ersten zwei Jahren hat das Publikum den Bundestrainer Löw reduziert auf die Rolle eines Fußballfachmanns. Schließlich war er bis 2006 das taktische Mastermind hinter Klinsmanns Projekt, dessen Erfolg gewiss der schöner als früher anzuschauende Fußball war, in erster Linie aber der gestiegene Stellenwert der Nationalmannschaft im Ansehen der Deutschen. Löws Profil unterschied sich so fundamental von dem seines Vorgängers, dass er mit diesem nie verglichen wurde. Die Expertenrolle aber konnte er nur so lange spielen, wie alles rund um die Nationalmannschaft ausbalanciert blieb. Als er aber nach der Europameisterschaft den Kampf um die Stammplätze auch der etablierten Spieler freigab, musste Löw mehr sein als einer, der sich für die flache Raute entscheidet oder für die Viererkette.

Damit könnte Löw wohl leben. Was ihn mehr stört, ist, dass beim Anlegen neuer Maßstäbe immer auch Zweifel an seiner Kompetenz mitschwingen. Glaubt denn wirklich jemand, er habe die Taktik früher mit Ballack abgesprochen und gefalle sich jetzt in der Pose des Entscheiders? Natürlich hat er in taktischen Dingen mit seinen Spielern diskutiert, „aber die Entscheidung trifft immer der Trainer“, das sei früher nicht anders gewesen als heute. Und selbstverständlich müsse bei der Aufstellung das Leistungsprinzip oberste Priorität haben, „alles andere wäre doch Schwachsinn“.

Wahrscheinlich hat ihn gerade deshalb Ballacks in aller Öffentlichkeit vorgetragener Angriff so verletzt. Diese Machtgebärden eines vermeintlich Unverzichtbaren, der mehr sein wollte als nur der beste Spieler seiner Generation und dabei nicht vor einer Schwächung des Bundestrainers zurückschreckte. Löw hat den Angriff pariert, so souverän und gnadenlos, dass er heute in der öffentlichen Wahrnehmung über eine Machtposition verfügt, wie er sie zuvor nicht hatte. In Berlin tritt er bewusst locker auf, nicht ein Mal stockt seine Stimme. Besonders gern redet er von den jungen Spielern, die er in diesem Jahr integriert hat, über Simon Rolfes, Piotr Trochowski, Heiko Westermann oder Patrick Helmes. Die neue Generation wird am Mittwoch im Spiel gegen England das Gesicht der deutschen Mannschaft prägen. Michael Ballack und Torsten Frings werden zu Hause vor dem Fernseher sitzen.

Videos von der Nationalelf in Berlin:

www.tagesspiegel.de/sport

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