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Neue Lage. Nach nur 19 Bundesligaspielen wurde Ron-Robert Zieler von Bundestrainer Joachim Löw berufen.

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Neuer und Zieler: Eine neue Generation von Torhütern

Halten reicht nicht mehr: Wer im Tor des Nationalteams stehen will, muss offensiv denken wie Manuel Neuer und Ron-Robert Zieler.

Ja, ja, die gute alte Zeit. Manuel Neuer hörte sich an, als würde ein Hundertjähriger über die Kaiserzeit reden, dabei ging es um seine Anfänge als Profi, die gerade fünf Jahre zurückliegen. Den Geist von damals meint Neuer auch jetzt wieder zu spüren. „Ich fühl’ mich ein bisschen zurückversetzt in die Zeit, als wir noch junge Torhüter waren“, sagte er. Wir – damit meinte Neuer seine beiden Kollegen Michael Rensing und René Adler. Alle drei sind etwa zur gleichen Zeit auf der großen Bühne erschienen, alle drei galten als überdurchschnittlich talentiert, weshalb die große Torhüternation Deutschland ihren Fortbestand auf Jahre hin gesichert sah. Daran hat sich bis heute nichts geändert, nur dass die große Torhüternation Deutschland sich im Moment noch ein bisschen größer fühlt, als sie es traditionell schon tut.

Maßlos sind solche Empfindungen keineswegs. Selbst Andreas Köpke, der Torwarttrainer der Fußball-Nationalmannschaft und alles andere als ein Großmaul, hält die Fülle an exquisiten Torhütern für „europaweit einzigartig“. Am vergangenen Wochenende standen in der Bundesliga zehn deutsche Torhüter auf dem Platz, die 25 Jahre oder jünger waren. Keine andere Liga könne mit dieser Leistungsdichte mithalten, sagt Köpke. Und kein anderer Nationaltrainer wird in Zukunft so viele Härtefälle moderieren müssen wie Joachim Löw.

In der vergangenen Woche hat der Bundestrainer schon einen Hinweis auf künftige Eifersüchteleien bekommen. Roman Weidenfeller vom Deutschen Meister Borussia Dortmund hat Löw angegiftet, weil der für den Doppelspieltag gegen Österreich (Freitag) und Polen (nächsten Dienstag) nicht etwa ihn nominiert hatte, sondern den 22 Jahre alte Ron-Robert Zieler von Hannover 96, der über die Erfahrung von gerade 19 Bundesligaspielen verfügt. Weidenfeller brachte daraufhin diverse Typveränderungen ins Spiel, um Löw zu gefallen, einen neuen Haarschnitt zum Beispiel. Das Geld für den Friseur kann er sich sparen.

Was hat Manuel Neuer, was Roman Weidenfeller nicht hat? Lesen Sie weiter auf Seite 2.

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„Weidenfeller ist ein guter Torhüter, Zieler halten wir für einen besseren Torhüter“, hat Löw zu dieser Angelegenheit gesagt. So deutlich hat er sich in Personalfragen selten positioniert, aber Weidenfeller hat eine derartige Festlegung letztlich regelrecht provoziert. Mag sein, dass der Dortmunder bis zuletzt geglaubt hat, mit seinen Leistungen ein Anrecht auf die Nationalmannschaft erworben zu haben, von Löw ist er nie als ernsthafter Kandidat gesehen worden.

Es ist so etwas wie Weidenfellers Schicksal, dass er als Torhüter einer Zwischengeneration angehört, über die die Entwicklung einfach hinweggegangen ist. „Es reicht einfach nicht mehr, den Fünfmeterraum oder sogar den Strafraum zu beherrschen“, sagt Andreas Köpke. „Von einem modernen Torwart wird heute verlangt, dass er Gegenangriffe einleitet, dazu soll er auf der Linie richtig gut sein. Die Position ist komplexer geworden.“ Weidenfeller ist noch ein klassischer Reaktionstorhüter aus der Linie des Oliver Kahn, für die das Bällehalten immer über allem stand. Die neue Generation hingegen übt sich längst in der Kunst des Bälleverarbeitens. „Unsere jungen Torleute sind praktisch alle mit der neuen Lehre großgeworden“, sagt Köpke. „Wenn ich mich aber zwingen muss, anders zu spielen, als ich es gewohnt war, werden die Dinge kompliziert.“ Deswegen ist Weidenfeller mit 31 Jahren auch nicht per se zu alt; er ist als Torhüter einfach nur zu spät geboren.

Es hat ein wenig gedauert, bis sich die Nation auf das neue Modell verständigt hat. Erst Manuel Neuer hat der offensive Stil, den er sich vor allem von Jens Lehmann abgeschaut hat, in Deutschland zum endgültigen Durchbruch verholfen. Lehmann selbst musste noch gegen viele Vorbehalte ankämpfen, weil sein Spiel einfach nicht den Sehgewohnheiten des Publikums entsprach. Inzwischen aber ist Neuers Interpretation der Rolle längst herrschende Lehre.

Auch Ron-Robert Zieler hängt ihr an. „Er verkörpert das moderne Torwartspiel, wie wir es in der Nationalmannschaft praktizieren“, sagt Köpke. Sein Chef Joachim Löw hält den Hannoveraner für „sehr stabil, sehr konstant“, aber auch der 19 Jahre alte Marc-André ter Stegen von Borussia Mönchengladbach hat es ihm angetan: „Wenn ich ter Stegen in der Bundesliga sehe, finde ich es auch überragend gut, wie er hält.“ Zieler, ter Stegen, dazu der Lauterer Kevin Trapp, Bernd Leno aus Leverkusen und Freiburgs Oliver Baumann – die jungen deutschen Torhüter, die gerade die Bundesliga erobern, sind schon so etwas wie die ersten Epigonen des Manuel Neuer. Es gibt nur ein großes Hindernis, das ihren Ambitionen entscheidend im Wege stehen könnte: Manuel Neuer befindet sich mit 25 Jahren selbst noch am Anfang seiner Karriere.

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