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Nationalmannschaft: Relaxen auf Kommando

Die deutschen Nationalspieler sollen sich auf Mallorca erst einmal entspannen – nur Jens Lehmann möchte sofort Fußball spielen.

Jens Lehmann ist Zeit seiner Karriere nicht unbedingt als großer Entspannungskünstler aufgefallen. Vielleicht bringt es seine Position als Torwart mit sich, vielleicht auch sein Alter, womöglich sogar sein nimmermüder Vorgänger in der Nationalmannschaft. Während Oliver Kahn mit 38 Jahren der endgültige Absprung gelungen ist, hat der gleichaltrige Torwart des FC Arsenal in absehbarer Zeit noch ein paar fußballerische Ziele. Das große ist gegen Ende des kommenden Monats der Gewinn der Fußball-Europameisterschaft. Und dieses Ziel setzt ein paar andere, kleinere voraus. Jens Lehmann will endlich mal wieder richtig Fußball spielen.

So gesehen fällt der Senior der deutschen Fußballnationalmannschaft etwas aus dem Rahmen. Während seit gestern für die Spieler im Trainingslager in Palma de Mallorca Aktiv-Relaxen und Entspannung für die ersten Tage angesetzt sind, „um die Spieler mal für zwei, drei Tage weg vom Fußball zu bekommen“, wie Oliver Bierhoff es sagt, hatte Jens Lehmann dem Manager der Nationalmannschaft gleich nach der Landung zugeflüstert, er habe es nicht nötig, Abstand vom Fußball zu gewinnen. Jens Lehmann hätte einfach auch sagen können: Her mit dem Ball.

Jens Lehmann ist einer der wenigen Spieler im deutschen Tross, der nach einer langen Saison nicht überspielt ist. Ein paar Einsätze sind es für ihn in London zwar noch geworden, aber Lehmann ist so aktiv-relaxed wie kein zweiter im Team. „Ich kann ihn verstehen“, sagt Bierhoff nachsichtig, „aber dafür sieht unser Trainingslagerkonzept große Individualität vor.“ Ein Konzept, das sich bewährt hat.

Fast auf den Tag genau ist es zwei Jahre her, dass auf Sardinien das Klinsmannsche Projekt WM 2006 startete. Die dreiwöchige WM-Vorbereitung umfasste ein Regenerativprogramm und ein anschließendes Feintuning in Genf. Diese erstmals praktizierte Symbiose erlangte mystischen Charakter für die deutsche Nationalelf. Damals wurde der Grundstein für ein erfolgreiches Turnier gelegt. Der ehemalige Projektleiter Klinsmann dachte groß und optimistisch. In seinen Sätzen schwang eine simple Botschaft an die Spieler mit: Hört auf uns, und ihr werdet Erfolg haben. In der Zwischenzeit hat sein damaliger Assistent Joachim Löw das Amt des Bundestrainers übernommen und die Mannschaft stetig entwickelt. Das Gros des WM-Kaders ist reifer und auch jetzt auf Mallorca dabei. 15 Spieler, die schon bei der WM für Deutschland im Einsatz waren, zählen zum vorläufigen EM-Kader, der nach einem Testländerspiel am 27. Mai gegen Weißrussland von 26 auf 23 reduziert wird.

Damals wurden einer noch weitgehend unerfahrenen Mannschaft hohe Dosen an Taktik, Technik, Kondition und Teamgeist verabreicht. Am Ende ging die Mannschaft mit sehr viel Energie ins Turnier. Das ist auch dieses Mal das Ziel, weshalb sich die Dinge nicht grundsätzlich verändert haben, wohl aber etwas verschoben. Zudem stehen dem Bundestrainer nur zwölf Tage auf Mallorca zur Verfügung, fünf weniger als 2006.

Wie auch schon auf Sardinien sind die Familien der Spieler als eine Art Wohlfühlfaktor dabei. Es sollen 17 Spieler sein, die mit Anhang angereist sind, einige haben schulpflichtige Kinder dabei. Zu überprüfen ist das nicht, denn das vornehme „Arabella Sheraton Golf Hotel Son Vida“ am nördlichen Rand Palmas ist mit seinen 93 Zimmern und Suiten komplett für das Nationalteam angemietet und wird von einem eigens eingeflogenen Sicherheitsdienst abgeschirmt.

„Die drei Wochen bis zum ersten Gruppenspiel gegen Polen sind durchgeplant“, sagt Löws Assistent Hans Flick. „Nachdem die Spieler ein bisschen runtergefahren sind, werden wir nach vier, fünf Tagen taktische Schwerpunkte setzen.“ Doch auch bis dahin wird zweimal täglich trainiert. Vormittags steht der Fitness-Aspekt im Vordergrund. Eigens dafür wurde im „Estadion Son Moix“ des spanischen Erstligisten RCD Mallorca ein gigantisches Fitnessstudio eingerichtet, das mit Vorhängen, Kunstrasenbelag, einigen Fotos der Nationalspieler sowie einigen Sinnsprüchen „emotional“ aufgepeppt wurde, wie es Bierhoff nennt. Für den Nachmittag habe man viele Möglichkeiten geschaffen, „damit wir polysportiv arbeiten können“. Den Spielern stehen Tennisplätze, ein Schwimmbad, ein Basketballfeld und eine Beachvolleyball-Anlage zur Verfügung. „Es ist für uns schon ein Luxus, wenn man zehn Tage jeden Spieler sehen kann“, sagt Löw. Tatsächlich bestritt die Nationalelf seit Jahresbeginn nur zwei Länderspiele und exakt vier Trainingseinheiten. „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir müssen körperlich in eine Topverfassung kommen“, sagt der Bundestrainer. Deshalb gilt: „Jeder dieser Tage zählt“, sagt Bierhoff. Und kostet.

Bis zu 20 Millionen Euro kann den Deutschen Fußball-Bund (DFB) das Projekt Euro 2008 kosten. Im Vergleich dazu lag der Etat für die WM im eigenen Land bei 16 Millionen Euro. „Der Etat-Ansatz für die EM liegt höher“, sagt Bierhoff. Anders als bei der WM zahlt die Reisekosten nicht die Fifa, sondern der DFB selbst, und angesichts der noblen, aber zugleich auch entlegenen Lage des EM-Quartiers „Il Giardino“ am Lago Maggiore im Tessin ist das nicht ganz preiswert. „Inklusive des Erreichens des Halbfinals ist die Euro für den DFB defizitär“, sagt DFB-Schatzmeister Horst R. Schmidt kurz. Immerhin habe man auf „unnötige“ Dinge wie etwa einen eigenen Helikopter zur Beobachtung anderer Spiele verzichtet, sagt Bierhoff.

Die Frauen der Nationalspieler werden am Freitag ihre Heimreise antreten, und, das bemerkte Bierhoff stolz, sie werden den DFB nichts gekostet haben. Die Frauen sind Selbstzahler.

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