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NEBEN Schauplatz: Big in Turkey – Der seltsame EM-Erfolg einer kleinen norwegischen Rockband

Sowohl der Musik als auch dem Fußball sagt man die Fähigkeit nach, Brücken zwischen Menschen und Nationen schlagen zu können. Dass manchmal auch beides zusammenkommen kann, hat die norwegische Band Helldorado erfahren.

Sowohl der Musik als auch dem Fußball sagt man die Fähigkeit nach, Brücken zwischen Menschen und Nationen schlagen zu können. Dass manchmal auch beides zusammenkommen kann, hat die norwegische Band Helldorado erfahren. Die skandinavischen Countryrocker, die so klingen, als kämen sie direkt aus dem texanisch-mexikanischen Grenzgebiet, sind plötzlich eine große Nummer in der Türkei. Schuld daran ist die türkische Nationalelf, die den „Drinking Song“ der Norweger für einen Werbespot ihres Hauptsponsors, eines Süßwarenherstellers, neu eingesungen hat. Melodie und Arrangement des Stückes sind dabei weitgehend erhalten geblieben, lediglich den Text haben die Türken frisiert und dabei ein Stück Lyrik erschaffen, das zusammen mit der flotten Melodie den perfekten Soundtrack für den aktuellen Siegeszug bei der EM abgibt: „Wir kommen wie die Flut, unser Lied wird den Himmel erzittern lassen, mit 70 Millionen singen wir, oooo Türkei, Türkei!“ Kein Wunder also, dass der Song am Bosporus in aller Munde ist, eine Entwicklung, die Helldorados deutsche Plattenfirma Glitterhouse völlig unvorbereitet getroffen hat. Das Indie- Label aus Beverungen hat schon einiges erlebt und unter anderem die frühen Nirvana herausgebracht, aber eine so seltsame Geschichte ist den Musikenthusiasten aus der niedersächsischen Pampa auch noch nicht untergekommen. „Wir haben erstmals einen Vertrag für Klingeltöne abgeschlossen“, berichtet Rembert Stiewe von Glitterhouse, dem der Erfolg bei aller Freude ein wenig schleierhaft ist: „Ich hätte das nicht für möglich gehalten. Helldorado sind ja eher so eine Tarantino-Truppe.“ Doch irgendwie scheinen die Band im Allgemeinen und das Stück im Besonderen den musikalischen Nerv der Türken zu treffen. Schon zuvor war Helldorado die erste Band, die Glitterhouse je in die Türkei lizensieren konnte, dann wurde der „Drinking Song“ von der beliebten Coverband Dolapdere Big Gang intoniert und ist so an die Ohren der Werbemanager gelangt, die den Spot mit der Nationalelf realisierten. Das Verblüffende: In der von den Spielern geschmetterten Version klingt der Song, als sei er nie etwas anderes als original türkisches Liedgut gewesen. Bei aller Freude über den unvermuteten Coup träumen sie bei Glitterhouse allerdings nicht von sprudelnder türkischer Lira. Rembert Stiewe sieht Label und Band vielmehr im Dienste eines Kulturauftrags unterwegs: „Ich hoffe inständig, dass der DFB ähnlich guten Geschmack bei der Auswahl zukünftiger EM- oder WM-Songs beweisen möge.“ Die Musiker selbst erfreuen sich derweil an zahllosen Anrufen und E-Mails aus der Türkei. „Es ist schon bizarr“, sagt Bassist Hans A. Wassvik, „aber wir genießen es.“ Eines hat der Fußballfan jedenfalls längst vergessen: dass die Türken wegen eines mickrigen Punktes Norwegen die EM-Teilnahme verwehrten.Jens Kirschneck

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