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Sport: Nedved – und dann?

Tschechiens Star nimmt Abschied von einer alternden Nationalmannschaft

Noch einmal wuselte das blonde Haar durch die Luft, nach links, nach rechts. Pavel Nedved stürmte alleine auf eine Mauer von italienischen Beinen zu, spielte irgendwie den Ball noch raus auf David Jarolim, der passte ungenau zurück, aber mit der letzten Kraft, die noch in diesem schmächtigen Körper steckte, erreichte ihn Nedved und schoss aufs Tor. Jedoch war der Ball nicht platziert genug, Torwart Gianluigi Buffon hatte keine Mühe, ihn abzuwehren. Wieder einmal hatte Pavel Nedved, bald 34 Jahre, einen riesigen Aufwand betrieben, um den Erfolg noch zu erzwingen. Vergeblich. Es war eine typische Szene für das womöglich letzte Spiel des Tschechen im Nationaltrikot. Er kämpft und rennt, ist links wie rechts, mal spielt er den Pass, dann fordert er den Ball und läuft im richtigen Moment los. Mit Nedveds Powerspiel aber kommt der große Rest der Mannschaft nicht mit. Am Ende steht es 0:2, Italien wird Gruppensieger, Tschechien, mal wieder als Geheimfavorit gehandelt, fährt nach Hause.

Nedved streift sich das Trikot ab und gratuliert den Italienern, allen voran seinen Teamkollegen von Juventus Turin. Später wird er sagen: „Ab jetzt bin ich Fan Italiens.“ In Zeiten des italienischen Fußballskandals ist das Bekenntnis Nedveds mehr als nur höfliche Floskel. Da will sein ehemaliger Vereinstrainer Marcello Lippi, aktuell der Trainer der Italiener, nicht zurückstecken und sagt: „Pavel, ein toller Spieler wie du braucht mehr gute Leute um sich herum.“ Damit sprach Lippi das aus, was alle dachten: Ein Nedved allein reicht nicht. Lippis Satz war nicht schmeichelhaft für die Tschechen, entsprach aber der Wahrheit.

Dabei hatte sich Nedved vor dem Turnier völlig untergeordnet und gesagt: „Ich bin nur noch Wasserträger.“ Auch dieser Satz, der inhaltlich natürlich nicht stimmte, hatte seinen Hintergrund: Eigentlich hatte Nedved nach der traumatischen EM 2004 seinen Rücktritt erklärt, wo er vom überragenden Spieler des Turniers zur tragischen Figur mutiert war. Die Bilder gingen um die Welt: Nedved, nach einem Zweikampf mit dem Griechen Konstantinos Katsouranis ausgewechselt, sitzt mit einem Eisbeutel über dem Knie den Tränen nahe auf der Auswechselbank. Die Tschechen verloren ihre Linie und das Spiel. „Ich will nicht, dass diese Verletzung in Erinnerung ist, wenn man über mich spricht“, hat Nedved später seine Rückkehr in die Nationalmannschaft begründet.

Schon 1996 hätte er Europameister werden können, aber Tschechien scheiterte im Finale an Deutschland. Trotzdem ist er seither ein Held in der Heimat, mehrfacher Fußballer des Jahres und der einzige Tscheche nach dem legendären Josef Masopust, der sich mit dem Titel Europas Fußballer des Jahres schmücken kann. In seiner Karriere, die ihn über Skoda Pilsen, Sparta Prag und Lazio Rom nach Turin führte, hat er oft bittere Niederlagen hinnehmen müssen. 2003 beispielsweise wurde Nedved im Halbfinale der Champions League gegen Real Madrid nach einem dummen Foul vom Platz gestellt. Er heulte wie ein Kind, und Juventus verlor das Finale gegen den AC Mailand.

Donnerstagnacht musste Nedved nicht weinen. Man erinnerte sich noch ein wenig an den wunderbaren 3:0-Auftaktsieg gegen die USA und wunderte sich, wie schnell aus gut schlecht werden kann. Es blieb aber die Erkenntnis, dass das kraftraubende Spiel der Tschechen mit einer alternden Mannschaft nicht mehr konkurrenzfähig ist. Nedved ertrug den Abend gelassen und mit dem Gespür, dass der endgültige Abschied für ihn nahe ist. Er werde sich mit der Familie besprechen, sagte Nedved. Zuvor aber hatte er sein Signal gegeben, hatte den Fans am längsten von allen zugewinkt, hatte den Rasen geküsst und sich bekreuzigt. Dann erst hatte Pavel Nedved beschlossen zu gehen.

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