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Sport: Neue alte Heimat

Von Benedikt Voigt Berlin. Die Anreise verlief für den 17-Jährigen und seinen Betreuer unglücklich.

Von Benedikt Voigt

Berlin. Die Anreise verlief für den 17-Jährigen und seinen Betreuer unglücklich. Beide verbrachten die ersten Stunden in München in ihrem Auto, weil sie zu früh am Trainingsplatz angekommen waren. Im anschließenden Auswahltraining des türkischen Verbandes lief es für den 17-Jährigen scheinbar auch nicht gut. Im Trainingsspiel durfte er nur etwas länger als eine Halbzeit sein Können zeigen, dann wechselte ihn der türkische Sichtungstrainer aus. Der Teenager weinte. „Er ist sehr sensibel“, berichtet Hakan Eseroglu, „er dachte, dass für ihn alles vorbei ist.“ Das traurige Talent wusste nicht, dass genau das Gegenteil der Fall war. „Er war so gut, dass die Trainer ihn bereits ausgewählt hatten“, sagt der Geschäftsführer des türkischen Fußballverbandes in Deutschland. Kurze Zeit später spielte Yildiray Bastürk zum ersten Mal für die Türkei.

Heute erlebt Bastürk seinen vorläufigen Höhepunkt als türkischer Nationalspieler. Um 13.30 Uhr versucht der 23-Jährige im Viertelfinale der Weltmeisterschaft gegen den Senegal sein Heimatland erstmalig unter die besten vier Fußball-Teams der Welt zu schießen. Heimatland? Der Mittelfeldspieler ist in Deutschland geboren und spielte bislang nur für deutsche Vereine: Wanne-Eickel, Wattenscheid, Bochum und Leverkusen. Bastürk ist nicht der einzige in Deutschland aufgewachsene Spieler aus dem WM-Aufgebot der Türkei. Tayfur Havütcü, Ilhan Mansiz und Ümit Davala, der Schütze des entscheidenden Tores im Viertelfinale gegen Japan, sind allesamt in Deutschland aufgewachsen. „Wäre der DFB zuerst auf mich zugekommen, würde ich wohl für Deutschland spielen“, hat Bastürk einmal gesagt. Doch die Türkei war schneller.

Eine Regel ist dafür entscheidend. Hat ein Spieler einmal für eine Nationalmannschaft eines Landes gespielt, darf er nicht mehr für ein anderes Land antreten. Weil das auch für die Jugendnationalteams gilt, müssen sich bereits 13- oder 14-Jährige für ein Land entscheiden, für das sie den Rest ihres Fußballerlebens spielen werden. So kommt es, dass sich der deutsche und der türkische Verband regelmäßig ein Wettrennen um Talente liefern, die zwischen zwei Nationen stehen. „Wir können kein Geld bieten, wir können nur an das Herz und den türkischen Nationalstolz appellieren“, sagt Eseroglu, der das Europa-Büro des türkischen Verbandes in Dortmund leitet. Fünf hauptamtliche Talentsucher, die für Bayern, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Holland und die nordischen Länder zuständig sind, sowie 15 nebenberufliche Scouts liefern ihre Ergebnisse in Dortmund ab. Die türkischen Jugendlichen bekommen eine Einladung zum Sichtungslehrgang und, wenn sie gut sind, eine zum Länderspiel. „Wenn der Junge dann auch anreist, freuen wir uns natürlich“, sagt Eseroglu. Dann ist er für den DFB verloren.

Doch es gibt auch Spieler wie Mustafa Dogan, der erklärt, dass er mit dem Herzen Deutscher sei. Der Profi, der in Rheinhausen aufgewachsen ist, spielt zwar für Fenerbahce Istanbul, ist aber seit seinem ersten und einzigen Länderspiel 1999 für den DFB spielberechtigt. Kurioserweise war der damalige Gegner ausgerechnet die Türkei. Auch in den aktuellen Jugendnationalmannschaften des DFB gibt es türkischstämmige Spieler, die sich für das Land entschieden haben, in dem sie leben. Erdal Kilicarslan vom FC Bayern beispielsweise oder Eren Sen vom Hamburger SV.

Oftmals aber sind die türkischen Sichter erfolgreich. „Wir haben zurzeit zehn bis zwölf Spieler aus Deutschland in türkischen Jugendauswahlmannschaften“, sagte Eseroglu. Deren Mentalität bringt die türkischen Teams weiter. „Die Spieler, die in Deutschland aufwachsen, sind disziplinierter und pflichtbewusster, sie machen das, was der Trainer ihnen sagt“, berichtet Eseroglu. Türken seien ballverliebter und verspielter.

Bei Ümit Davala aber haben weder die türkischen noch die deutschen Sichter versagt. Der türkische Nationalspieler war ein Spätentwickler. In der A-Jugend des VfR Mannheim war er körperlich noch zu schwach. „Er war der kleinste A-Jugendliche, den ich je gesehen habe“, erinnert sich sein ehemaliger Jugendleiter Tahar Bagdadi, „er maß 1,20 Meter.“ Inzwischen wuchs Davala auf 1,86 Meter und wiegt 74 Kilogramm. Erst als er aus der deutschen Bezirksliga in die Türkei wechselte, gelang ihm der Aufstieg vom Zweitligisten Afyonspor zu Galatasaray und dann zum AC Mailand. Nun ist er ein Großer.

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