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Sport: Neue Beweglichkeit

Bundestrainer Klinsmann setzt auf Leistungstests aus den USA – taugen die deutschen nichts mehr?

Berlin – Samstagvormittag wird es im Amateurstadion von Hertha BSC ein bisschen sein wie in Los Angeles. Mark Verstegen wird im Hinterland des Olympiastadions die Spieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft von Kopf bis Fuß durchchecken. Der Kalifornier Verstegen ist Leistungsdiagnostiker und Gründer und Chef des Trainingszentrums Athletes Performance mit Filialen in Los Angeles und Tampe (Arizona). Bundestrainer Jürgen Klinsmann hat den Amerikaner und dessen Team sechs Tage vor dem Länderspiel gegen Brasilien einfliegen lassen. Eine Maßnahme, die von hiesigen Beobachtern und Fachleuten kritisch beäugt wird. Es heißt: Was können die, was wir nicht können? Was will und was kann Klinsmann mit den Schnelligkeits- und Beweglichkeitstests überhaupt erreichen?

„Wir wollen uns ein eigenes Bild machen vom Fitnesszustand der Spieler“, sagt Klinsmann. Der in Kalifornien sesshaft gewordene Bundestrainer ist ein wenig irritiert, wie sehr über dieses Thema in Deutschland diskutiert wird. Er kenne die Amerikaner seit Jahren. „Wir wollen über den Tellerrand gucken, andere Meinungen einholen und für uns herausziehen, was nützlich ist.“ Vor allem hofft Klinsmann, „neue Reize“ setzen zu können. „Welchen Nutzen das haben wird, sehen wir danach.“

Welchen Nutzen können solche Tests überhaupt haben? Ein Test der Koordination beispielsweise hat für den Trainer sofortige praktische Auswirkungen. „Die Koordinationsfähigkeit eines Spielers nimmt bei steigender Belastung ab, und gleichzeitig steigt die Verletzungsanfälligkeit an“, sagt Carsten Schünemann, der als Fitness-Trainer von Hertha BSC für die Leistungsdiagnostik der Mannschaft verantwortlich ist. Ein Spieler mit einer guten Koordination ist also weniger verletzungsanfällig. Außerdem ist die Koordination wichtig für die Umsetzung von Technik und Taktik auf dem Feld. Gerade wenn sich eine Mannschaft nur wenige Tage vor einem Spiel trifft, kann im Bereich der Koordination noch eine Verbesserung erreicht werden. Anpassungen im Sprint- und Ausdauerbereich sind längerfristig angelegt.

Vielleicht schraubt Klinsmann deshalb die Erwartungen etwas herunter. „Wir sehen die Tests als Ergänzung zu den Werten, über die die Vereine verfügen.“ Deutschland zählt in der Leistungsdiagnostik zu den führenden Nationen, auch Tests der Koordinationsfähigkeit sind für Schünemann nichts Neues. Trotzdem hat Klinsmann jetzt Spezialisten aus Amerika in den Kreis der Nationalmannschaft eingeführt. „Ich glaube nicht, dass ein anderes Land im Bereich Leistungsdiagnostik das Rad neu erfinden kann“, sagt Schünemann.

Bisher wurden bei den leistungsdiagnostischen Tests der Nationalmannschaft nur die Sprintfähigkeit und die Ausdauerleistungsfähigkeit getestet. Zur Ermittlung ihrer Sprintleistung mussten sich die Spieler dem so genannten 5-x 30-m-Test stellen. Bei diesem Test wird eine 30-m-Strecke auf der Laufbahn abgesteckt, die Spieler starten ohne Kommando: Mit Hilfe einer Lichtschranke am Start wird die Stoppuhr ausgelöst. Zwischenzeiten werden nach fünf, zehn und dreißig Metern genommen. Es geht um die Ermittlung von Antrittsschnelligkeit, Beschleunigungsfähigkeit und Grundschnelligkeit der Spieler.

Auch die Laktatwerte der Spieler werden bei allen Bundesligisten regelmäßig ermittelt. Aus ihnen kann nicht nur der Ist-Zustand der Spieler abgeleitet werden, es können auch Empfehlungen für das Training herausgelesen werden. „Aber wenn sich die Nationalmannschaft nur wenige Tage vor einem Länderspiel trifft, kann man mit diesen Daten keine Leistungssteigerungen erzielen“, sagt Schünemann. Normalerweise dauert es sechs Wochen, bis eine Anpassung auf das Training erfolgt. Die Leistungsdiagnostik bei der Nationalmannschaft sei sinnvoller, wenn diese Daten auch an die Vereine weitergegeben würden. „Dann liegt es an jedem Spieler und Vereinstrainer, was er daraus macht“, sagt Klinsmann. Einfluss auf die Mannschaftsaufstellung vom Mittwoch werden die Werte nicht haben. Noch nicht. „Wir werden das in den nächsten zwei Jahren in regelmäßigen Abständen wiederholen“, sagt Klinsmann, „wir wollen uns ein Bild machen, wie sich ein Spieler weiterentwickelt.“

Der letzte Fitness-Test der Nationalmannschaft fand kurz vor der EM statt. Seit 1998 überzeugen sich die Bundesligisten vor jeder Saison mit Hilfe der Leistungsdiagnostik vom Fitnesszustand ihrer Profis. Doch die Fitness ist keine Garantie für Leistung auf dem Feld. „Die Psyche spielt eine sehr wichtige Rolle. Außerdem gibt es Spieler, die von ihrer Fitness leben, andere sind eher Techniker“, sagt Schünemann. Oliver Bierhoff, Manager der Nationalelf, kann die Aufregung nicht verstehen. Das alles habe nichts mit Skepsis gegenüber den Kompetenzen und Methoden in Deutschland zu tun, sagt er. „In der Wirtschaft holt man sich auch und gern Kraft von außen.“

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