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Neue Dopingregel: Keine Zeit mehr für Romantik

Die neue Ein-Stunden-Regel führe zum Verlust der Privatsphäre, klagen Athleten aus unterschiedlichen Sportarten.

Berlin - Seit Januar ist ein freier Tag für Nicolas Kiefer nicht mehr das, was er einmal war. Wenn er sich spontan zu einem Rendezvous verabreden möchte, muss er erst einmal seinen Computer anschalten. „Ich sage dann: Halt, ich muss noch die Nationale Anti-Doping-Agentur informieren“, erzählt der Tennisprofi. „Da geht doch jegliche Romantik flöten.“ Die Romantik ist noch das Geringste, worum Kiefer fürchtet. „Die neue Regel bedeutet die völlige Aufgabe von Privatleben und Privatsphäre.“

Tennis gehört nicht zu den Sportarten, in denen Athleten bisher massenhaft des Dopings überführt worden sind. Dennoch gilt für Kiefer und andere international erfolgreiche Spieler seit Januar die neue Regel: Eine Stunde am Tag zwischen 6 und 23 Uhr müssen sie nun angeben, in der sie auf jeden Fall anzutreffen sind. Findet der Kontrolleur sie nicht, werden sie verwarnt. Nach drei Warnungen erfolgt eine Sperre.

Neben Kiefer haben sich schon andere Tennisprofis beklagt, auch der Weltranglistenerste Rafael Nadal: „Wir fühlen uns wie Kriminelle. Das ist Verfolgungswahn und nicht fair.“ Kiefer sagt: „Ich stimme meinen Kollegen in ihrer Klage zu, dass sie sich verfolgt fühlen. Es ist die Frage, ob es der Sport wert ist, dafür wirklich sein gesamtes Privatleben zu opfern.“

Derzeit überbieten sich Spitzensportler in ihrem Zorn über die neue Regel. „Man wird behandelt wie ein Verbrecher“, sagt etwa Hochspringer Raul Spank. Aus dieser Wut ist bisher in Deutschland noch keine Aktion wie in Belgien entstanden, wo sich 65 Athleten, darunter Radfahrer, zu einer Klage gegen die neue Regel entschlossen haben. Sie wollen sich notfalls durch alle nationalen und europäischen Instanzen kämpfen. „So eine Klage wird irgendwann in acht Jahren entschieden sein“, sagt der Sportrechtler Dirk-Reiner Martens, der auch Schiedsrichter am Internationalen Sportgerichtshof Cas ist. Und er gibt noch eine Prognose ab: „Der Wind von vorne wird so stark sein, dass möglicherweise schon vorher Änderungen vorgenommen werden.“

Der Widerstand aus dem deutschen Sport und der Bundesregierung hat jedenfalls nicht ausgereicht, um die Regel international zu verhindern. Aber es gibt auch Zustimmung. Zum Beispiel von Athleten wie der Mountainbike-Olympiasiegerin Sabine Spitz, die nun an bessere Möglichkeiten glauben, ihre Sauberkeit zu beweisen. Auch Tennisspieler Roger Federer befürwortet die neue Regel. In Deutschland sind derzeit knapp 500 Athleten von der neuen Regel betroffen, entweder weil ihre Sportart besonders dopinggefährdet ist oder weil sich der internationale Verband diesem System angeschlossen hat, wie es im Tennis der Fall ist.

André Niklaus, der Weltklasse-Zehnkämpfer aus Berlin, steht derzeit zwischen 22 und 23 Uhr ständig für Kontrollen zur Verfügung. „Diese Zeit ist für mich gut kalkulierbar. Da kann ich sicher sein, dass ich zu Hause bin“, sagt der 27-Jährige. Als er allerdings vor Kurzem seine Freundin im Krankenhaus besuchte, hetzte er nach Hause, damit er um 22 Uhr erreichbar war. Dieser Stress wird ihm allmählich zu viel, und wie zahlreiche andere Athleten wird er seine obligatorische Stunde künftig zwischen sechs und sieben Uhr morgens legen.

Für den Hallen-Weltmeister ist die Regelung „ein etwas krankes System“. Er komme zwar einigermaßen damit zurecht, deshalb beklage er sich auch nicht ständig. Andererseits gelinge ihm das auch nur, „weil ich nicht ständig daran erinnert werden möchte“. Sonst gehe der Spaß am Sport verloren. Die neue Regel verlangt auf jeden Fall viel Disziplin. Für manche Notfälle ist vorgesorgt. Bis eine Minute vor Beginn der angegebenen Stunde können sich die Athleten noch per SMS abmelden, etwa wenn sie im Stau stehen. Es ist ein Zwiespalt, den Niklaus und andere Athleten sehen: Einerseits muss das Doping-Kontrollnetz eng sein, sonst ist der Kampf gegen die Manipulation nicht effizient, andererseits habe das Kontrollsystem strukturelle Probleme. „Viele Athleten wissen gar nicht, was ein Dopingprotokoll ist.“ Zum Beispiel Sportler aus Ländern, „die hinter den Grenzen von Deutschland liegen. Am Ende zählt eben der Medaillenspiegel“, sagt Niklaus. Er kommt so lange mit der Regelung klar, „bis ich mal auf die Nase falle“. Bis er also einmal nicht zu der Zeit angetroffen wird, die er angegeben hat.

Auch andere Sportler fürchten, dass in den Maschen des Kontrollsystems weniger die Betrüger hängen bleiben als diejenigen, denen ein Fehler bei der Abmeldung unterläuft. Zumal das System sehr kompliziert sei. Kanu-Olympiasieger Ronald Rauhe sagt: „Früher haben uns die Kontrolleure vorher noch einmal angerufen, so hat man sich nicht verfehlt. Das machen sie jetzt nicht mehr.“ Wer nicht da ist, wird verwarnt. Eine Stunde benötige er jedes Mal, wenn er seine Aufenthaltsorte für die kommenden drei Monate an das System der Welt-Anti-Doping-Agentur übermittelt, berichtet Rauhe. Mit seiner Kritik will er sich nicht zu weit vorwagen: „Man muss vorsichtig sein, dass man dabei den Bogen nicht überspannt. Sonst sagen die Leute: Der hat etwas zu verbergen.“

Mitarbeit: Frank Bachner.

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