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Datenpapst. Herthas Hegeler (in blau) sammelt Impect-Punkte.

© REUTERS

Neues Mess-System: Wie Daten den Fußball revolutionieren sollen

Jens Hegeler und Stefan Reinartz haben eine neue Fußball-Datenanalyse entwickelt – auch die Nationalelf setzt zur EM darauf.

Die statistischen Daten aus dem WM-Halbfinale 2014 lassen an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig. Gefährliche Angriffe: 55 zu 34. Ballbesitz: 52 Prozent zu 48. Torschüsse: 18 zu 14. Balleroberungen: 46 zu 37. Angesichts des klaren Ergebnisses, des 7:1-Sieges für Deutschland gegen Brasilien scheint das kein Wunder zu sein. Verwunderlich ist nur, dass in all diesen Kategorien die Brasilianer vorne lagen.

Für den früheren Nationalspieler Stefan Reinartz, der gerade seine Karriere als Fußballer beendet hat, und Jens Hegeler, der bei Hertha BSC unter Vertrag steht, waren diese Zahlen zwar kein Erweckungserlebnis. Sie waren aber der Auslöser, sich intensiver mit dem Thema Datenerhebung zu beschäftigen und das Startup-Unternehmen Impect zu gründen, das jetzt die ersten Geschäftsabschlüsse präsentieren kann.

Ist der Fußball zu komplex?

Die Frage, warum die im Fußball erhobenen Daten im Unterschied zu anderen Sportarten wenig bis gar nichts über Erfolg und Misserfolg einer Mannschaft aussagen, hatten sich beide schon früher gestellt. Gibt es vielleicht überhaupt keine passende Methode, weil der Fußball, wie es immer heißt, zu komplex ist? Oder ist der richtige Ansatz noch nicht gefunden?

„Wir haben etwas entwickelt, was es bisher in der Fußballwelt noch nicht gab“, sagt Reinartz. Es ist nicht der heilige Gral, dazu ist der Ansatz letztlich zu simpel. Vereinfacht ausgedrückt funktioniert das Modell so: Gut ist ein Spieler, wenn es ihm gelingt, möglichst viele gegnerische Spieler zu überspielen und damit aus dem Spiel zu nehmen, egal ob durch ein Dribbling, einen Steil- oder Diagonalpass. Und besonders gut ist ein Spieler, der beim Gegner die Verteidiger (die letzten sechs Spieler inklusive Torwart) überspielt. „Wir halten das für eine relativ einfache Idee“, sagt Reinartz. Relativ valide ist sie trotzdem: Analysiert man das WM-Halbfinale von 2014 mit diesem Modell, fällt das Ergebnis ganz anders aus als bei der herkömmlichen Datenerhebung. Brasilien hat in 90 Minuten 341 Gegenspieler (davon 53 Verteidiger) überspielt, Deutschland 402 (davon 84 Verteidiger).

Lars Stindl ragt in der Statistik heraus

In manchen Fällen bestätigt die Methode nur, was man ohnehin schon zu wissen meinte. Dass etwa Toni Kroos ein herausragender Spieler ist, weil er pro Spiel 85 Gegner überwindet – der Schnitt auf seiner Position liegt bei 28. Auch Mats Hummels kommt als Spieleröffner, ebenfalls nicht ganz überraschend, auf überragende Werte. Andererseits müsste Lars Stindl von Borussia Mönchengladbach, streng nach der Impect-Methode, für die Nationalmannschaft spielen: weil er als Passgeber, als Balleroberer und als Anspielstation von allen Bundesligastürmern auf die besten Werte kommt.

Reinartz verhehlt gar nicht, dass für die Entwicklung der Idee auch seine persönliche Betroffenheit eine Rolle gespielt hat. Er hat sich und sein Spiel nie ausreichend wertgeschätzt gefühlt. Das trifft vermutlich auch auf seinen Kompagnon Jens Hegeler zu. Trotzdem sagt Christofer Clemens, der Chefanalyst der deutschen Nationalmannschaft: „Man hätte vermuten können, es mit einer spinnerten Selbstverwirklichungsidee von Profis zu tun zu haben, aber das ist wirklich innovativ.“ Überhaupt sind Reinartz und Hegeler auf positive Resonanz gestoßen. Für den DFB analysieren sie während der EM die Gegner. Die ARD nutzt ihr Modell bei der Europameisterschaft, auch Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund und RB Leipzig zählen inzwischen zu den Kunden. Reinartz glaubt, dass ihre Methode „ein Bewusstsein dafür schaffen wird, was effektiv ist“.

„Der will einfach nicht aufhören mit Fußball. Komischer Kerl“

In der vergangenen Woche hat der 27-Jährige sein vorzeitiges Karriereende verkündet, obwohl sein Vertrag bei Eintracht Frankfurt noch eine Saison lief. Reinartz sagt, dass die vielen Verletzungen ihn zermürbt hätten. Dass sich ihm mit Impect eine neue berufliche Perspektive eröffnet hat, habe bei der Entscheidung aber auch eine Rolle gespielt. Das Unternehmen beschäftigt inzwischen sechs festangestellte und 15 freie Mitarbeiter. Reinartz ist Geschäftsführer, Hegeler wird als Botschafter geführt. „Der will einfach nicht aufhören mit Fußball. Komischer Kerl“, sagt Reinartz im Scherz.

Auch seinen letzten Profiklub hat Reinartz analysieren lassen. Unter Armin Veh war Eintracht Frankfurt in der vergangenen Saison mit 60 überspielten eigenen Verteidigern im Schnitt die offenste Mannschaft der Bundesliga. Nachdem Niko Kovac das Traineramt übernommen hatte, waren es nur noch 40 pro Spiel. Ob er Veh nicht hätte warnen können, wird Stefan Reinartz gefragt. Er senkt den Kopf, schaut fast betreten zu Boden und sagt: „Wir haben versucht, es vorzustellen. Wir haben leider keinen Termin bekommen.“

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