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Sport: Nicht auf den Mund gefallen

Stabhochspringer Tim Lobinger kritisiert erneut die deutschen Leichtathleten – und belegt selbst nur Rang fünf

Paris. Giuseppe Gibilisco hätte die Latte auf sechs Meter legen lassen können. Das ist die magische Marke im Stabhochsprung. Er hatte nichts mehr zu verlieren, er hatte den WM-Titel bereits sicher. Aber übersprungene 5,90 m reichten dem Italiener. „Für sechs Meter brauchst du Windeln“, sagte er. „Bei sechs Metern machst du dir nämlich in die Hosen.“

Tim Lobinger hatte nur 5,80 m übersprungen, das reichte für Platz fünf. Aber er hat schon mal sechs Meter überquert, er macht sich nicht in die Hose. Er zieht nicht zurück, auch nicht am Freitagmorgen, im so genannten Deutschen Haus. Lobinger zieht erstmal über Stabhochsprung-Bundestrainer Leszek Klima her. „Es ist ein Unding, dass ein deutscher Bundestrainer während eines WM-Endkampfs einen Polen betreut.“ Klima habe Adam Kolasa Tipps für den richtigen Absprung gegeben und die Windrichtung angezeigt. Als Lobinger von Klima nach seinem Versuch seinen Absprungpunkt wissen wollte, habe Klima schulterzuckend gesagt: „Ich habe nicht hingeschaut.“ Lobinger: „Das ist so, als würde Rudi Völler beim Elfmeterschießen dem gegnerischen Torhüter Tipps geben." Es war eine Ouvertüre der Lobinger-Abrechnung, mit allem und jedem. Mit Bundestrainern allgemein zum Beispiel. „Man muss sich schon fragen, wozu man 30 Bundestrainer benötigt, wenn jeder Athlet seinen eigenen Trainer hat.“ Dass der Bundestrainer für die Langstrecke in Paris sei, „das ist doch Geldverschwendung“.

Kleiner verbaler Schwenk ins deutsche Athletenlager, Lars Riedel rückt nun in Lobingers Fadenkreuz. Der fünfmalige Diskus-Weltmeister hatte Lobinger in der „Abendzeitung“ attestiert, der sei ein „Selbstdarsteller“. Alles falsch wiedergegeben, habe er Lobinger später persönlich gesagt. Lobinger sagt: „Ich habe dann in der Redaktion das Band abgehört: Riedel hatte es genau so gesagt, wie es in der Zeitung stand.“

Lobinger geht „bewusst an die Öffentlichkeit. Ich habe so viel Lehrgeld zahlen müssen, jetzt reagiere ich“. Und wie er reagiert. Nächster Schwenk, der Verband rückt ins Rampenlicht. Der weigere sich seit drei Jahren, am traditionellen Ländervergleich USA - Großbritannien teilzunehmen. Früher hatte Deutschland da stets eine Mannschaft gestellt. Aber weil bei diesem Wettkampf Geld an die Athleten ausgeschüttet werde, habe sich der DLV zurückgezogen, behauptet Lobinger. „Ich habe die Korrespondenz dazu gesehen, der Verband hat Angst, dass die Athleten auch bei anderen Meetings Geld verlangen könnten.“ Seit drei Jahren forderten Athleten vergeblich, dass sie an dem Länderkampf teilnehmen dürften, „jetzt erst beginnt man wieder umzudenken“.

Andererseits, wer sind die deutschen Athleten? Eigentlich auch Problemfälle. Viele trainieren nicht professionell und werdendann auch noch schonend behandelt. Behauptet Lobinger. „Wo sind denn die jungen Wilden?“, fragt er. Bei der WM habe ihm kaum einer aus dieser Generation imponiert.

Lobingers fünfter Platz hat offenbar kaum einem der deutschen Trainer imponiert. Jedenfalls erzählt der Hallen-Weltmeister von 2002 dies. Am Freitagmorgen habe es bei der täglichen Trainertagung fast Buhrufe für Lobingers Trainer Michael Kühnke gegeben. „Er hat keine Trainer-Lizenz, das nehmen ihm die anderen übel. Aber man muss auch sehen, dass er nur nebenberuflich Trainer ist. Er wird von keinem richtig unterstützt. Nur mein Ausrüster hilft ihm.“ Es ist wohl nicht bloß ein Problem von Kühnke. Auch Jürgen Krempin beklagte sich über mangelhafte Unterstützung. Der Trainer von Ingo Schultz sagte, er müsse einen Großteil seiner Kosten selber übernehmen. Dabei tauchte er in Paris als Coach des Vize-Weltmeisters von 2001 auf. Aber er ist halt nur Hobby-Trainer. Hauptberuflich arbeitet er als Informatiker.

Lobinger redete natürlich auch über sich, über seine WM-Leistung. „Ich bin nicht wirklich enttäuscht“, sagte er. „Ich hätte 5,85 m überspringen können.“ Mehr sei aber nicht drin gewesen an diesem Tag. Er war drei Wochen verletzt, die optimale Form habe er nicht. „Und Giuseppe ist an diesem Tag optimal gesprungen.“ Das kann man so sagen. Gibilisco verbesserte seinen persönlichen Rekord um acht Zentimeter.

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