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Hollands Heroenhaufen.

© REUTERS

Sport: Nicht schön, aber Finale

Jahrzehntelang scheiterten die Niederländer immer wieder in vollendeter Ästhetik. Jetzt haben sie sich dem Erfolg verschrieben – und selbst das Schicksal hat sich mit Oranje verbündet

Spät am Abend hat Mark van Bommel von seinem ersten WM-Finale erzählt. Es war eine kurze Geschichte, denn van Bommels war damals zwar schon auf der Welt, stand aber keineswegs als gestaltende Persönlichkeit auf dem Fußballplatz. Was damals, im Jahr 1978, passiert ist, kennt er nur aus Erzählungen oder aus dem Fernsehen. Da war der Pfostenschuss kurz vor Schluss von Rob Rensenbrink, die Verlängerung mit den Toren von Mario Kempes und Daniel Bertoni, sie brachten Argentinien einen 3:1-Sieg ein. Die Holländer standen mal wieder als Zweiter da. Als Weltmeister der Schönspieler, zum zweiten Mal nach 1974 in Deutschland.

Die Finalniederlagen von München und Buenos Aires haben den niederländischen Fußball geprägt, ja die gesamte Nation. Dieses Gefühl, dass Schönheit sich im Zweifelsfall der Rationalität unterordnen muss. Als das Finale gegen Argentinien verloren ging, an jenem 25. Juni 1978, war Mark van Bommel 14 Monate und zwei Tage alt. Am Dienstag nun hat er die Niederländer nach 32 Jahren sehnsüchtigen Wartens wieder in das größte aller Endspiele geführt, aber man kann ihm schwerlich unterstellen, dass er in der Tradition der 78er Schönspieler um Rob Rensenbrink oder die Brüder René und Willy van de Kerkhof steht. Mark van Bommel steht für den neuen Charakter dieser Mannschaft. Sie steht immer noch im Zeichen großartiger Individualisten wie Arjen Robben oder Wesley Sneijder, aber ihr Stil hat sich gewandelt. Weg vom Anspruch der Ästhetik, hin zum Primat des Erfolgs. Nicht mehr leidenschaftlich und zügellos, sondern kühl und effizient. „Das war heute nicht super“, sagte van Bommel nach dem 3:2 im Halbfinale von Kapstadt über Uruguay, „aber wir stehen im Finale, und das ist es, was zählt.“

Keiner steht so typisch für diesen neuen holländischen Fußball wie Mark van Bommel. Im Alltag steht er dem FC Bayern München als Kapitän vor, auch dies ein viel sagendes Symbol, denn in Südafrika spielen seine Holländer sehr viel deutscher als die eher holländisch angehauchten Deutschen. Es gab da im Spiel gegen Uruguay eine typische Szene, kaum jemand hat sie beobachtet vor dem grandiosen Schuss des niederländischen Kapitäns Giovanni van Bronckhorst zum frühen 1:0. Der Ball wäre schwerlich vom rechten Flügel hinüber auf die linke Seite zu van Bronckhorst gewandert, hätte sich nicht van Bommels stollenbewehrte Sohne auf dem Schienbein des Uruguayers Mauricio Victorino verirrt.

Es sind auch diese Kleinigkeiten, die das Spiel der Holländer prägen. Van Bommels versteckte Fouls oder Robbens Neigung zum Fall in so ziemlich jedem Zweikampf, der nicht zu seinen Gunsten ausgeht. Und manchmal haben sie auch Glück. Zum Beispiel bei Sneijders abgefälschtem Schuss zum vorentscheidenden 2:1, als Robin van Persie mit einem Bein im Abseits stand und wohl auch den uruguayischen Torhüter Fernando Muslera irritierte. Solche Szenen werden vom Schiedsrichter mal für, mal gegen den Angreifer ausgelegt. Sneijders Tor zählte, die Uruguayer wurden dagegen dreimal zurückgepfiffen aus aussichtsreichen Situationen, bei denen nach Auswertung der Fernsehbilder jeweils kein Abseits vorlag. Auch diese Verbundenheit mit höheren Mächten galt bisher als typisch deutsch.

Nun waren die Niederländer trotz aller weichen Faktoren qua ihrer technischen, optischen und taktischen Überlegenheit ein verdienter Sieger. Aber überlegen waren auch ihre Vorgängermannschaften oft genug, was sie noch nie an einem vorzeitigen Ausscheiden gehindert hat. „Wir spielen nicht schön, aber effektiv“, sagt Joris Mathijsen. Der Innenverteidiger des Hamburger SV verdingt sich im Alltag ebenso in der Bundesliga wie sein Klubkollege Eljero Elia, der Stuttgarter Khalid Boulahrouz sowie die Münchner Robben und van Bommel. Auch Edson Braafheid (FC Bayern), Rafael van der Vaart und Nigel de Jong (beide HSV) haben ihr Geld schon in Deutschland verdient, Trainer Bert van Marwijk betreute früher Borussia Dortmund.

Ganz undeutsch war hingegen, wie früh sich die Holländer der Illusion eines leichten Sieges hingaben. Mit einer 3:1-Führung im Rücken vertändelte Robben mit bei ihm selten erlebter Lässigkeit eine Großchance. Auf der Bank und auch auf dem Platz rissen sie schon die Arme hoch, noch bevor die Uruguayer in der Nachspielzeit auf 2:3 herankamen und später noch ein paar Mal unheildrohend im Strafraum auftauchten. Ganz niederländisch geprägt war auch die anschließende Party in der Kabine, sie dauerte bis kurz vor Mitternacht und fand erst auf energische Intervention des Trainers Bert van Marwijk ein Ende.

So zurückhaltend ging es nicht überall zu in Kapstadt. Tausende Fans in Orange feierten zwischen Main Road und Long Street die Nacht, in der die Weltmeisterschaft mit perfekt in den historischen Rahmen passenden Ergebnis zu Ende ging in der Stadt, deren Gründer ein Niederländer war, der Seefahrer Jan van Riebeeck.

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