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Sport: Nichtstun und Fußball

Von Martín E. Hiller Die verschnörkelten Häuser stammen unverkennbar aus der Kolonialzeit.

Von Martín E. Hiller

Die verschnörkelten Häuser stammen unverkennbar aus der Kolonialzeit. Wunden eines Krieges blieben ihnen bisher erspart. Vor einem Gebäude steht ein über 50 Jahre alter Chevrolet, im Süden sieht man das Wasser des Atlantiks glitzern.

Uruguay ist mit 176 000 Quadratkilometern halb so groß wie Deutschland, hat aber gerade mal so viele Einwohner wie Berlin. Die Hälfte der Uruguayer lebt in Montevideo. Das Leben in dem kleinen Land zwischen Argentinien und Brasilien konzentriert sich auf die Hauptstadt, und die Hauptstadt konzentriert sich aufs Nichtstun – und auf Fußball. Sämtliche Erstligavereine des Landes sind in der Stadt am Nordufer des Rio de la Plata beheimatet. Die beiden bekanntesten, Nacional Montevideo und Penarol, die seit jeher die nationale Meisterschaft dominieren, spielen eins der traditionsreichsten Derbys im Weltfußball aus. Bereits im Jahr 1900, lange vor Boca Juniors und River Plate auf der anderen Seite des Flusses oder dem FC Barcelona und Real Madrid in Spanien, absolvierten sie das erste von bis heute 472 Stadtduellen.

Fast die Hälfte der uruguayischen Nationalspieler verdient ihr Geld noch im eigenen Land, und diejenigen Spieler, die es nach Europa geschafft haben, nehmen bei ihren Klubs selten eine zentrale Rolle ein. Dass ein gewisser Gonzalo de los Santos mit dem FC Valencia Spanischer Meister wurde, ist nur wirklich Eingeweihten bekannt. Angreifer Diego Forlan drückt bei Manchester United ebenso die Bank wie der momentan populärste uruguayische Spieler, Alvaro Recoba, bei Inter Mailand – auch ein Indiz dafür, dass Uruguay mittlerweile nicht mehr auf demselben Niveau spielt wie seine großen Nachbarn Argentinien und Brasilien, deren Auswahlspieler fast ausschließlich bei europäischen Spitzenklubs unter Vertrag stehen. Mit den beiden Großen, die Südamerika nicht nur in fußballerischer Hinsicht dominieren, kann der erste Weltmeister der Fußballgeschichte (1930) schon lange nicht mehr mithalten. In Japan und Südkorea nimmt Uruguay zwar zum zehnten Mal an den Titelkämpfen teil, doch regelmäßige internationale Auftritte der Celestes, der Hellblauen, liegen beinahe ebenso lange zurück wie ihre Erfolge. Die letzte WM-Teilnahme datiert von 1990. Heute bestreiten die Uruguayer gegen Dänemark ihr erstes WM-Spiel seit 12 Jahren.

In der südamerikanischen Qualifikation landete die uruguayische Mannschaft nur auf Grund der leicht besseren Tordifferenz vor Kolumbien auf Platz fünf. Dieser berechtigte zu den siegreich, wenn auch glanzlos bestrittenen Entscheidungsspielen gegen Australien, nicht aber zu Titelhoffnungen, geschweige denn hysterischen Freudenausbrüchen in den Straßen des traditionell verschlafenen Montevideo. Beides überlässt man den Nachbarn im Norden und im Süden, beschwört lieber das Glück, das die glorreiche Vergangenheit zurückbringen soll. In Asien werden die Hellblauen in einem Trikot auflaufen, das der 1930er Version ähnelt.

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