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Rollentausch. Djokovic (r.) war im Finale chancenlos gegen Wawrinka – das machte die Niederlage noch tragischer für den Weltranglistenersten.

© AFP

Niederlage gegen Stanislas Wawrinka: Novak Djokovic und die historische Fallhöhe

Im Finale der French Open hat Novak Djokovic eine Niederlage erlebt, die beim Weltranglistenersten nachwirken wird. Im vorherigen Turnierverlauf hatte der Serbe wie eine Maschine gespielt.

Björn Borg hatte auf der Ehrentribüne des Court Philippe Chatrier Platz genommen. Der 59-jährige Schwede gewann sechsmal die French Open, in seiner Generation war er der Souverän von Roland Garros. Obwohl sich der einstige Regent rar macht auf der großen Bühne, war er in jüngster Zeit doch immer zur Stelle, wenn irgendwo ein Rendezvous mit der Historie bevorstand. Also kam er am Sonntag natürlich nach Paris, denn es zweifelte niemand daran, dass Novak Djokovic diesen letzten fehlenden Schritt zum ersten French-Open-Sieg machen würde. Stattdessen wurde Borg Zeuge einer der bittersten Niederlagen des Weltranglistenersten. Eine, die nachwirken könnte.

Als es vorbei war und Stanislas Wawrinka nach seinem 4:6, 6:4, 6:3 und 6:4-Triumph die Familie und sein Team auf der Tribüne herzte, saß Djokovic wie paralysiert auf seiner Bank. Die Wucht der Enttäuschung traf ihn mit unerbittlicher Härte, er schien wie gelähmt. Womöglich ging er diese packende und hochklassige Partie wieder und wieder durch. Was hätte er nur besser machen können?

Was er besser hätte machen können? Die Frage macht es nur noch tragischer

Die Antwort, die Djokovic und sein Trainer Boris Becker darauf geben konnten, war unbefriedigend: so gut wie nichts. Und das machte seine Lage noch tragischer. „Diese Niederlage tut sehr weh“, sagte Djokovic, „ich habe alles versucht und war in bester Position, um die Trophäe zu gewinnen. Es hat nicht gereicht.“

Dabei schien der Zeitpunkt ideal, um endlich auch auf der roten Asche von Roland Garros zu triumphieren. Um als fünfter Spieler der Open Era seinen Karriere-Grand-Slam perfekt zu machen und jedes Major mindestens einmal gewonnen zu haben. Keiner hatte in dieser Saison besser gespielt als der 28-Jährige aus Belgrad. „Wie eine Maschine“ spiele Djokovic, hatte Wawrinka gesagt. Scheinbar unschlagbar. Vor dem Finale von Paris hatte Djokovic 28 Spiele in Folge gewonnen und fünf Titel geholt – unter anderem jenen bei den Australian Open. Auf Sand blieb Djokovic ebenfalls ungeschlagen, hatte 2015 überhaupt nur zwei Partien verloren. „Ich bin momentan auf meinem Zenit“, hatte er während des Turniers immer betont, „es stimmt einfach alles in meinem Leben. Ich bin als Persönlichkeit gewachsen und da, wo ich sein will.“

Die Heirat mit seiner Partnerin Jelena und die Geburt ihres Sohnes im letzten Herbst hätten ihm neuen Halt gegeben, und auch Becker bemerkte, „dass der Erfolg immer schnell sichtbar ist, wenn es privat stimmt“. Auch das Vertrauensverhältnis zum dreimaligen Wimbledonchampion war weiter gewachsen. Gemeinsam hatten sie das Spiel des Serben weiterentwickelt. Nun sucht der beste Defensivspieler eher selbst aktiv den Punktgewinn, zudem ist sein Aufschlag gefährlicher geworden. „Novak ist ein anderer Spieler als im letzten Jahr“, sagte Becker. „Er ist besser geworden.“ Djokovic hatte es im Viertelfinale gegen den neunmaligen Champion Rafael Nadal untermauert. Doch mit dem Sturz des Königs verstärkte Djokovic seine Favoritenrolle nur umso mehr. Der Erwartungsdruck stieg immens, der Titel galt bereits als sicher – und doch verlor er ihn. „Mit Druck lebe ich jeden Tag“, verteidigte sich Djokovic, „aber auf der anderen Netzseite steht eben auch einer, der unbedingt gewinnen will.“

Wawrinka hatte nichts zu verlieren, Djokovic dagegen sehr wohl

Wawrinka hatte nichts zu verlieren gehabt gegen die Nummer eins und befreit aufgespielt im wohl besten Match seines Lebens. Für Djokovic war der Titel dagegen ein Muss. „Das Ziel ist nicht, ins Halbfinale zu kommen, sondern hier zu gewinnen“, hatte Becker bekräftigt, „unser Ziel ist, die großen Titel zu gewinnen, am besten viele.“ Neun Trophäen hat Djokovic gewonnen, nur die eine ersehnte eben nicht. Ob er sich von diesem Tiefschlag erholt? Nie war die Chance besser und die Fallhöhe so hoch wie in Paris.

Das spürten auch die Zuschauer. Minutenlang klatschten sie für ihn, als Djokovic bei der Siegerehrung gegen die Tränen ankämpfte. Nie hatte er so viel Wärme und Respekt vom Publikum gespürt, und vielleicht war es das erste Mal, dass er ihnen so ehrlich sein Innerstes offenbarte. Doch er hatte erst verlieren müssen, um diese Zuneigung zu bekommen, die er sich immer gewünscht hatte. „Mir bedeutetet euer Applaus unendlich viel. Und ihr seid mein Ansporn, dass ich weiter versuche, diese Trophäe zu gewinnen.“ Auch Borg applaudierte. Er hatte auf und abseits des Tennisplatzes erfahren, wie sich scheitern anfühlt. Doch oft sind es eben die Brüche im Leben, die noch ans Ziel führen.

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