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Sport: Noch hat Polen nicht gewonnen

Christoph Dabrowski will bei der WM für sein Geburtsland spielen – doch er kam bereits für Deutschland zum Einsatz

Christoph Dabrowski hört sich erstaunlich gefasst an. Große Illusionen habe er sich ohnehin nicht gemacht. „Wir versuchen es noch einmal“, sagt er, „aber wenn es nicht klappt, geht die Welt auch nicht unter.“ Christoph Dabrowski, 27 Jahre alt, Mittelfeldspieler vom Fußball-Bundesligisten Hannover 96, redet von seiner vermutlich letzten Chance, an einer Weltmeisterschaft teilzunehmen.

Ende voriger Woche hat der Weltfußballverband Fifa ein Fax geschickt, das seine Hoffnungen vorerst zunichte gemacht hat. Dabrowski hatte beantragt, für Polen spielen zu dürfen. Die Fifa hat das abgelehnt: weil Dabrowski nach Vollendung seines 21. Lebensjahres für das deutsche Team 2006 zum Einsatz gekommen ist. Das ist nicht ohne Ironie: Ein Team, das hoffnungsvolle Talente für die WM vorbereiten sollte, könnte nun Dabrowskis WM-Traum zerstören.

Dabrowski hätte schon an diesem Wochenende für Polen spielen sollen. Er war weiter als die meisten anderen Spieler, die für eine WM-Teilnahme ihre Staatsangehörigkeit wechseln würden. Kurz vor großen Turnieren ist dieses Phänomen häufiger zu beobachten. Der Franzose Valerien Ismael und der Brasilianer Lincoln haben sich zuletzt vergeblich dem deutschen Bundestrainer angedient. Lincolns Landsmann Ailton hat es ebenfalls versucht, zuerst in Deutschland, dann in Katar.

Jeder Fußballer will einmal bei einer Weltmeisterschaft spielen, und auch Christoph Dabrowski war „Realist genug“, um zu sehen, dass er diese Chance in der deutschen Nationalmannschaft wohl nicht mehr bekommen würde. Trotzdem liegt sein Fall anders, und um das zu beweisen, muss er nur seinen alten Kinderausweis vorlegen. Der Ausweis ist zwar schon seit 1992 nicht mehr gültig, doch er legitimiert noch heute Dabrowskis Vorhaben, für Polen zu spielen. Er ist 1978 in Katowice geboren und besitzt – neben der deutschen – auch die polnische Staatsangehörigkeit. Der Vater seiner Mutter, Josef Turczyk, hat nach dem Zweiten Weltkrieg als Torhüter für den heutigen Erstligisten GKS Katowice gespielt. Weil er jedoch im Krieg für die Wehrmacht gekämpft hatte, durften seine Tochter Eva und deren sechsjähriger Sohn Christoph 1985 als Deutsche aus dem kommunistischen Polen nach West-Berlin aussiedeln.

Dabrowski ist schon seit Jahren nicht mehr in Polen gewesen, und selbst mit Dariusz Zuraw, seinem polnischen Mannschaftskameraden bei Hannover 96, spricht er deutsch, „weil mir über die Jahre ein paar Vokabeln fehlen“. Trotzdem sagt Dabrowski: „Ich weiß, wo ich herkomme.“ Warum also sollte er nicht für die polnische Nationalmannschaft spielen dürfen? „Ich kann mich absolut damit identifizieren“, sagt er. „Dafür muss man sich nicht schämen.“ Dennoch schwingt in seinen Aussagen die Befürchtung mit, als Opportunist zu gelten. Dabei ist die Initiative eindeutig von polnischer Seite ausgegangen.

Die Fifa hat ihre Regularien zuletzt ein wenig gelockert. Früher schloss schon der Einsatz in einer Jugend-Nationalmannschaft den Wechsel in einen anderen Verband aus. Inzwischen ist entscheidend, dass der Wechselwillige nach Vollendung seines 21. Lebensjahres kein offizielles Länderspiel mehr bestritten hat. Die Frage im Fall Dabrowski ist, ob das Team 2006 als offizielle Nationalmannschaft gilt. „Die Statuten der Fifa sind nicht eindeutig formuliert“, sagt der Mittelfeldspieler. Sein Berater Jörg Neubauer hat beim Deutschen Fußball-Bund zusätzliche Dokumente angefordert, die ihre Interpretation stützen sollen.

Als Dabrowski vor ein paar Wochen auf die Möglichkeit angesprochen wurde, für Polen zu spielen, „habe ich keine Sekunde gezögert“. Die Mannschaft hat sich direkt für die WM qualifiziert, doch Nationaltrainer Pawel Janas sucht noch immer nach seiner idealen Formation. Allein in diesem Jahr hat er 45 Spieler getestet. Trotzdem soll neben Dabrowski auch noch der Argentinier Mauro Cantoro eingebürgert werden, der bei Wisla Krakau im Mittelfeld spielt. Vor der WM 2002 wurde im Schnellverfahren der Nigerianer Emmanuel Olisadebe eingebürgert, der Polen dann mit seinen Toren zum Turnier in Japan und Südkorea schoss.

So wie die Spieler noch nach Möglichkeiten suchen, an der WM in Deutschland teilzunehmen, so fahnden auch die Verbände nach potenziellen Verstärkungen. Italien wurde 1934 mit drei Argentiniern und einem Brasilianer im Kader Weltmeister. Ein anderes Beispiel ist Ernest Wilimowski, der im Achtelfinale der WM 1938 beim 5:6 gegen Brasilien vier Tore für sein Heimatland Polen schoss. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, in den Jahren 1941 und 42, bestritt er als Ernst Willimowski acht Länderspiele für Deutschland und erzielte 13 Tore.

Willimowski ist sozusagen der Urahn von Dariusz Wosz, Martin Max, Paul Freier, Miroslav Klose, Lukas Sinkiewicz und Lukas Podolski, die alle eine ähnliche Biografie haben wie Christoph Dabrowski: Sie sind in Polen geboren, als Kinder nach Deutschland gekommen und haben sich für die deutsche Nationalmannschaft entschieden. Oder von der anderen Seite aus betrachtet: gegen Polen.

Christoph Dabrowski schwimmt gegen den Strom. Seitdem sein Einsatz für Polen im Gespräch ist, haben ihn mehrere polnische Journalisten angerufen. Dabrowski hat „gedacht, dass ich vorsichtig sein muss“, dass er nichts sagen darf, was gegen ihn ausgelegt werden könnte: „Ich habe nichts zur WM-Qualifikation beigetragen. Da kann ich mich nicht hinstellen und sagen: Ich bin der Retter von Polen.“ Insgesamt aber hatte er während der Telefonate mit den polnischen Journalisten das Gefühl, „dass eine gewisse Euphorie da war“. Dann kam das Fax von der Fifa.

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