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Sport: „Noch nicht am Limit“

Joachim Löw über die Perspektiven der Deutschen und die Zusammenarbeit mit Jürgen Klinsmann

Herr Löw, werden Sie sich am Sonntag das WM-Finale im Stadion ansehen?

Ich glaube nicht. Wir fliegen am Sonntag nach Berlin zurück und werden uns am Brandenburger Tor noch einmal unseren Fans zeigen. Vielleicht gehen wir danach noch zusammen essen und schauen uns abends im Fernsehen das Finale an.

Schmerzt es noch zu sehr, dass Sie nicht dabei sind?

Es tut natürlich weh, selbstverständlich. Direkt nach dem Spiel gegen Italien gab es eine unglaubliche Leere und Stille. Niemand war bereit, zu sprechen oder Energie zu erzeugen. Inzwischen spüren wir, dass wir mit der Enttäuschung umgehen können. Bei mir persönlich hat sie sich schon wieder gewandelt in positives Denken und in Freude, weil wir es geschafft haben, unsere junge Mannschaft absolut wettbewerbsfähig zu machen. Wir haben uns nicht durch dieses Turnier gemogelt. Wir haben auch fußballerisch überzeugt.

Vor ein paar Wochen galt das noch als völlig undenkbar.

Für uns nicht. Wir waren von Anfang an von unserem Weg überzeugt. Das war unsere Stärke: Wir haben uns aus Überzeugung gegen alle Widerstände behauptet.

Sind Sie überwältigt von dem Zuspruch, den Sie jetzt für Ihre Arbeit bekommen?

Nein, ich arbeite ja schon ein paar Jahre als Trainer und kenne die Höhen und Tiefen. Bei der Nationalelf hat alles nur eine größere Dimension. Als ich mit Innsbruck Meister geworden bin, obwohl wir ein halbes Jahr kein Geld gesehen haben, war ich genauso glücklich und zufrieden.

Die Öffentlichkeit hat das Gefühl, dass die Mannschaft in einer Entwicklung steckt, die noch nicht abgeschlossen ist.

Das stimmt. Das ist erst der Beginn, wir haben jetzt eine Basis, von der aus sich diese Mannschaft positiv entwickeln kann. Letztlich mussten wir auch bei der WM feststellen, dass wir uns in vielen Bereichen noch einmal nach vorne bewegt haben. Der Kern der Mannschaft wird zusammenbleiben, und aus der U 21 kommen einige hoffnungsvolle Spieler hinzu, denken Sie nur an Piotr Trochowski, Eugen Polanski oder Stefan Kießling. Das sind Spieler, die schon jetzt ganz nah dran waren.

Bei der EM in zwei Jahren könnten die Deutschen schon zu den Favoriten zählen.

Das ist doch positiv, dass wir uns auf diese Stufe gebracht haben. Die Mannschaft ist noch nicht am Limit, die Spieler haben die Qualität, in die Spitze vorzustoßen.

Hängt die weitere Entwicklung entscheidend von Jürgen Klinsmann ab?

Unabhängig davon, ob Jürgen Klinsmann als Bundestrainer weitermacht – der DFB muss sich fragen: Wer könnte unsere Philosophie mit einer offensiven, attraktiveren Spielweise, geprägt von Tempo und viel Hingabe, weiterführen? Es kann nicht sein, dass es bei einem Trainerwechsel wieder in die komplett andere Richtung geht. Ich glaube, dass dieser Virus mittlerweile beim DFB eingepflanzt ist. Er ist bereit, diesen Weg weiterzugehen und bestimmte Investitionen zu tätigen. Er ist auch von unserer Philosophie überzeugt. Das spielt für Jürgen Klinsmann und mich eine wichtige Rolle.

Sie wollen, dass Klinsmann weitermacht?

Das wäre absolut wünschenswert. Selbstverständlich würde ich am liebsten in dieser Konstellation weiterarbeiten. Sie ist sehr eingespielt, geprägt von großem Vertrauen, auch von Zuneigung, von Energie. Ob es so kommen wird, vermag ich nicht zu sagen. Wir werden uns in aller Ruhe nach der WM unterhalten. Das wird nicht am Sonntag oder Montag passieren. Wir brauchen jetzt erst mal ein bisschen Ruhe, um das Ganze zu verarbeiten und uns unsere Gedanken zu machen. Das erste Gespräch wird es mit Jürgen Klinsmann geben. Ich will erst mal sein Gefühl hören.

Werden Sie Klinsmann zum Weitermachen drängen?

Ich dränge niemanden. Ich bin völlig relaxed – weil ich die Ausgangssituation immer gekannt habe.

Die Frage nach Ihrer beruflichen Zukunft treibt Sie nicht um?

Die Frage hat mich bisher nicht beschäftigt. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich zu keiner Zeit darüber nachgedacht: Was ist in drei oder vier Wochen? Ich wollte mich in jeder Minute auf das konzentrieren, was wichtig ist. Das alles rauscht ja nur an einem vorbei. Vielleicht werden die Dinge, die so schnell im Unterbewusstsein verschwunden sind, erst in einigen Wochen wieder hochkommen. Vieles ist noch gar nicht verarbeitet, weil man unter einer ständigen Anspannung steht. Der Fußball treibt einen ja manchmal an den Rand des Wahnsinns.

Was meinen Sie?

Gegen Polen gewinnst du in der 93. Minute, gegen Italien verlierst du in letzter Minute. Das sind Gefühlsschwankungen – da weißt du nicht, wie du mit denen umgehen sollst. Aber letztlich werden die unglaublich positiven Eindrücke überwiegen: der Spielstil, die Identifikation mit den Fans, diese Nähe, das friedliche Fest WM, der Eindruck, den das Ausland von uns gewonnen hat, sechs Wochen schönes Wetter…

Gehörte das auch zu Klinsmanns Masterplan?

Genau. Die Sonne aus Kalifornien holen – das war das Motto.

Die Fragen stellte Stefan Hermanns.

Joachim Löw, 46, ist seit dem 1. August 2004 Kotrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Zuvor trainierte er unter anderem den VfB Stuttgart und den Karlsruher SC.

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