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Forever on fire. Will Grigg hat bei dieser EM keine Minute gespielt. Die Fans lieben ihn trotzdem.

© dpa/Anspach

Nordirland-Fans sind in love: Will Grigg: Das Phantom der Kurve

Die Fans aus Nordirland sangen: „Will Grigg’s on fire“. Doch der Stürmer spielte nicht bei dieser EM – es lag wohl auch am Lied des Anhangs.

Sechs Minuten noch. Die Hoffnung lebt, in der nordirischen Kurve des Prinzenparks, auf den Fanmeilen und vor den Fernsehgeräten in Nordirland, ach was, wahrscheinlich in ganz Europa. In der Kurve singen sie noch ein bisschen lauter, aber Michael O’Neill kennt kein Erbarmen. Will Grigg mag on fire sein, aber spielen darf er nicht. Der nordirische Trainer Michael O’Neill vergibt seine letzte Wechseloption an Joshua Magennis, einen kräftigen Burschen, den Cardiff City mal als Torhüter unter Vertrag genommen und dann zum Stürmer umgeschult hat. Kurzes Seufzen in der Kurve.

Die EM ist vorbei für die Nordiren

Ein paar Minuten später ist es vorbei. Nordirland verliert am Samstag im Achtelfinale von Paris 0:1 (0:0) gegen Wales. Die EM ist vorbei für die Green and White Army, aber die Fans in der Kurve singen weiter trotzig „Will Grigg’s on fire“, den Song, der dieser oft so langatmigen Europameisterschaft ein wenig Esprit eingehaucht hat. Will Grigg, der Stürmer vom englischen Zweitligisten FC Wigan, wird als fröhliches Phantom in die Geschichte von France 2016 eingehen. Als einer, den alle kennen und doch keiner. Er hat in vier Spielen keine einzige Minute gespielt, und wahrscheinlich liegt das auch ein bisschen an dem schönen Lied aus der Kurve. „Der Song ist großartig, und unsere Fans sind es auch. Aber ich lasse mir von ihnen nicht vorschreiben, wen ich aufstelle, und Will ist nun mal als Stürmer nur unsere vierte Wahl“, sagt Michael O’Neill, nicht zum ersten Mal in diesen Tagen, aber noch ein bisschen gereizter als zuletzt beim 0:1 gegen Deutschland, ebenfalls im Prinzenpark.

Ein Spektakel für Will Grigg

Das war am Dienstag, und zehn Minuten nachdem das Spiel vorbei war, ist Will Grigg noch einmal aus der Kabine gekommen und hat mit seinem Mobiltelefon für die Nachwelt festgehalten, welches Spektakel da in seinem Namen aufgeführt wurde. Grigg hat das Spektakel still genossen und kein Wort gesagt. Ein 24 Jahre junger Gentleman, der sich zu benehmen weiß, auch das wird zu seinem Nachruhm beitragen.

Wer die Unterschiede der Kulturenvielfalt in Fußballstadien praktisch vor Ohren geführt haben möchte, dem sei eine Retrospektive jenes eher langweiligen Spiels empfohlen. Hier drückend überlegene und doch weitgehend phantasielose Deutsche, dort limitierte, aber leidenschaftliche Nordiren. Hier das brave und einschläfernde „Schwarz und Weiß, wir steh’n auf eurer Seite“, ersonnen einst von Oliver Pocher zu einer Melodie, die jeden Rummel ziert, weiterer Textauszug: „Und wir hol'n den Sieg mit euch, und wir hol'n den Sieg mit euch, jetzt geht's los!“ Dort „Will Grigg’s on fire“, adaptiert von einem Fan aus Wigan nach dem Song „Freed from Desire“ der Sängerin Gala. Ist schon zwanzig Jahre alt und groovt doch so, dass jeder mitsummt und –swingt im Stadion, auch wenn er mit den Nordiren nichts am Hut hat. Zwei Zeilen, an denen in den Kneipen zwischen Lille und Nizza in den vergangenen zwei Wochen keiner vorbeigekommen ist: „Will Grigg’s on fire, your defence ist terrified!“

Was wäre wohl passiert, hätte er mitstürmen dürfen?

So richtig erschrocken war keine Defensive vom nordirischen Angriff, aber erstens macht gerade diese unüberhörbar feine Selbstironie das akustische Erlebnis so schön, und zweitens: Wer weiß schon, was passiert wäre, wenn Will Grigg hätte mitstürmen dürfen. Ein Jahr lang hat ihn der Trainer ignoriert und dann doch für den EM-Kader nominiert. Im Testspiel gegen Weißrussland durfte er für die letzte halbe Stunde auf den Platz und schoss das Tor zum 3:0-Endstand. Michael O’Neill hätte sich am Samstag in Paris unsterblich machen können, wenn er nur ein einziges Mal den Impuls aus der Kurve aufgenommen und Will Grigg auf den Platz geschickt hätte. Wahrscheinlich wäre der Prinzenpark explodiert, vielleicht hätten die Waliser weiche Knie bekommen, Auge in Auge mit dem Phantom. Und ganz hätte der nordirische Angriff nicht an Gefährlichkeit eingebüßt. Schade, dass wir es nie erfahren werden.

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