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Sport: Nordisch, jung, erfolgreich

Die Norwegerinnen haben geschafft, was ihrem heutigen EM-Finalgegner Deutschland noch bevorsteht: den Generationswechsel

Wenn Solveig Gulbrandsen über ihre Kollegin Ane Stangeland spricht, dann schwingt eine spezielle Form der Bewunderung der Offensivspielerin für die Verteidigerin mit. „Ane ist eine Abwehrspielerin der alten Schule“, stellt die Frau vom norwegischen Klub Kolbotn IL im feudalen Prestoner Marriott Hotel erst einmal klar. Das soll so viel bedeuten wie: Stangeland räumt hinten auf, und zwar ohne viel Schnickschnack. „Sie ist gerade mal 25 Jahre alt“, betont Gulbrandsen, die doch selbst erst 24 ist. „Aber sie verteidigt, als hinge ihr Leben davon ab. Ihre Nase hat sie sich schon siebenmal gebrochen.“

Bei der Europameisterschaft in England haben Stangelands Selbstlosigkeit und Gulbrandsens Tore entscheidend dazu beigetragen, dass Norwegens Fußballerinnen heute im Finale gegen den großen Turnierfavoriten Deutschland stehen (16.15 Uhr, live auf Eurosport). Die Qualifikation für die EM hatte das stark verjüngte Team von Bjarne Berntsen nach dem zweiten Gruppenplatz hinter Dänemark nur über die Relegationsspiele gegen Island geschafft, beim renommierten Algarve-Cup im März enttäuschten sie, und zum Start in die EM-Endrunde beschlichen die Norwegerinnen große Zweifel, ob sie gegen Deutschland, Frankreich und Italien überhaupt den Sprung ins Halbfinale hinbekommen würden.

Doch schon im ersten Spiel gegen die Deutschen hielten die Norwegerinnen gut mit und verloren denkbar unglücklich 0:1. Beim wichtigen zweiten Gruppenspiel gegen Frankreich waren sie topfit, glichen nach der Pause zum 1:1-Endstand aus und freuen sich seitdem zunehmend über den offensichtlich erfolgreichen Umbruch nach dem Viertelfinal-Aus bei der WM vor zwei Jahren. „Niemand hat von uns erwartet, dass wir hier im Endspiel stehen würden“, sagt Innenverteidigerin Marit Fiane Christensen, ebenfalls erst 24 Jahre alt und damit genau im Altersdurchschnitt der EM-Finalistinnen. „Das macht die Angelegenheit noch einmal größer.“

Dabei sind die Jungen nicht nur jung, sondern längst auch schon Leistungsträgerinnen im norwegischen Team. So schwärmt Bundestrainerin Tina Theune-Meyer regelrecht von der blonden Solveig Gulbrandsen: „Sie geht weite Wege, ist dynamisch – einfach klasse.“ Und sie kann Tore schießen: Beim Triumph der Norwegerinnen im niveauvollen Halbfinale gegen Schweden erzielte die Mittelfeldspielerin zwei Treffer, darunter den entscheidenden zum 3:2-Sieg in der Verlängerung. „Ein wunderschönes Tor“, schwärmte Nationaltrainer Berntsen hinterher. „Meine Spielerinnen werden es immer und immer wieder sehen wollen.“ Das gilt auch für Isabell Lehn Herlovsen, die nach einer Stunde das zwischenzeitliche 2:1 für ihre Mannschaft geköpft hatte und gleich danach ausgewechselt wurde. Aus verständlichen Gründen, schließlich ist die Tochter der früheren Gladbacher Bundesligaprofis Kai-Erik Herlovsen erst 16 Jahre alt und gilt damit als Paradebeispiel für den Neuanfang bei den Skandinavierinnen.

Dieser Prozess steht den Deutschen noch bevor. „Unsere Mannschaft ist nicht mehr die jüngste“, weiß Assistentin Silvia Neid, die nach dem heutigen Finale den Bundestrainerinnen-Job von Tina Theune-Meyer übernehmen wird. Sorgen muss sich die 41-Jährige allerdings keine machen: Die Nachwuchsarbeit in Deutschland gilt als die beste im Frauenfußball. Fast 850 000 registrierte Spielerinnen gibt es in Deutschland. „Ein riesiger Fundus“, sagt Theune-Meyer. „Und wir können die besten davon auswählen.“ Der Titelgewinn bei der U-19-WM im vergangenen Jahr deutete bereits an, dass die neue Generation auf ihre Bewährungsprobe wartet. Die größten Veränderungen wird es in den nächsten Jahren dabei im Abwehrbereich geben, wo sich mit Steffi Jones, Sandra Minnert, Ariane Hingst, Kerstin Stegemann und Torhüterin Silke Rottenberg große Erfahrung versammelt. Jones und Minnert sind 32, Rottenberg ist sogar ein Jahr älter. Hier deutet sich das Ende großer Karrieren an.

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