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Sport: Nummer 6? Nummer 10? Nummer sicher!

Von Stefan Hermanns Shizuoka. Rudi Völler ist ein Mann mit Prinzipien.

Von Stefan Hermanns

Shizuoka. Rudi Völler ist ein Mann mit Prinzipien. Und eines seiner Prinzipien lautet: Hebe nie einen Einzelnen aus der Gruppe heraus! Nach dem ersten Gruppenspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Saudi-Arabien hatte Völler eine Ausnahme gemacht. Geradezu elegisch sprach der Teamchef über einen seiner Spieler. Miroslav Klose hatte drei Tore erzielt, aber Völler bescheinigte Dietmar Hamann aus dem defensiven Mittelfeld eine überragende Leistung: „Was der Didi heute an Bällen am Fuß hatte, das hat alle Rekorde gebrochen.“ Bei Dietmar Hamann muss man schon öffentlich verkünden, dass er überragend gespielt hat, sonst könnte es sein, dass niemand es bemerkt.

Manchmal hat man das Gefühl, nicht mal Hamann selbst weiß, wie gut er ist. Wenn man ihn auf die eigene Leistung anspricht, wird bei ihm die automatische Rufumleitung aktiviert. Hamann spult dann Sätze ab, wie: Die Mannschaft hat sehr gut gestanden – und Floskeln von ähnlicher Originalität. Der 28-Jährige redet so schmucklos, wie sein Fußballspiel auf viele wirkt.

Dabei ist das, was Hamann auf dem Platz veranstaltet, an Effektivität kaum zu übertreffen. Hamann hat bisher eine überzeugende Weltmeisterschaft gespielt. In den drei Vorrundenspielen hat der Mittelfeldspieler vom FC Liverpool so gut wie keinen Zweikampf verloren. Mit Torhüter Oliver Kahn und Stürmer Miroslav Klose, der mit fünf Treffern in drei Spielen die WM-Torschützenliste anführt, bildet Hamann die Achse, die entscheidenden Anteil hatte am Einzug der deutschen Mannschaft ins Achtelfinale. In Seogwipo heißt dann am Sonnabend der Gegner Paraguay. Das Team qualifizierte sich durch ein 3:1 über Slowenien.

Der 28-jährige Hamann besitzt ein Gespür für fußballerische Situationen, wie es nur wenige Spieler besitzen. Er ist die ordnende Hand im deutschen Mittelfeld, die Nummer Sicher vor der Abwehr. Der moderne Fußball verlangt, dass Defensivspezialisten nicht nur über die Fähigkeit verfügen, dem Gegner den Ball abzujagen, sie müssen auch in der Lage sein, die eigenen Angriffe einzuleiten. Der eindimensionale Zerstörer in seiner Personifizierung Dieter Eilts ist längst Geschichte, die Arbeitsteilung zwischen Spielmacher und Wasserträger wurde zu Gunsten einer ganzheitlichen Lösung aufgehoben. Die Position im defensiven Mittelfeld gilt inzwischen als die wichtigste überhaupt: weil moderne Strategen wie der Brasilianer Emerson, der Franzose Vieira oder Argentiniens Veron im Idealfall Wimmer, die klassische Nummer sechs, und Netzer, die Nummer zehn, in einem sind.

Dietmar Hamann darf diese Rolle im deutschen Mittelfeld inzwischen allein verantwortlich spielen. Das war nicht immer so. Das hierzulande vorherrschende Sicherheitsdenken hat dazu geführt, dass die defensive Position im Mittelfeld der deutschen Nationalelf immer gleich von zwei Spielern besetzt wurde. Neben Hamann waren dies entweder Jens Jeremies, Carsten Ramelow oder auch Michael Ballack.

Bei diesem Endrundenturnier in Südkorea und Japan aber sitzt Jeremies nur auf der Bank, Ramelow muss in Vertretung des verletzten Leverkuseners Jens Nowotny den Abwehrchef geben, und Ballack spielt weiter vorne. Hamann profitiert auch davon, dass er nun in seinem Verantwortungsbereich das alleinige Gestaltungsrecht besitzt.

In den drei Vorrundenbegegnungen hat der Liverpooler den weit stärkeren Eindruck hinterlassen als der ausgelaugte Ballack, der sich nach den Strapazen einer langen Saison mühselig über den Platz schleppte, jedoch mit fünf Vorlagen und einem Tor zumindest eine spektakuläre Statistik aufweisen kann. Dietmar Hamanns Spiel lässt sich nur schwer in Zahlen pressen; gäbe es wie beim American Football eine Statistik für „Interceptions“, das Abfangen beziehungsweise die Unterbindung gegnerischer Angriffe, dann sähe das vermutlich anders aus. So aber wird sein Spiel in der Heimat immer noch nicht ausreichend gewürdigt.

Im Herbst des vergangenen Jahres, vor den Ausscheidungsspielen der Deutschen gegen die Mannschaft der Ukraine, hat Hamann gesagt: „Jetzt fahre ich wieder nach Deutschland und kann mir eine Woche lang anhören, was für ein Eierkopf ich bin.“ In England, da, wo der 28-Jährige seit Jahren sein Geld verdient, sieht das ganz anders aus. Als Hamann bei der Europameisterschaft 2000 nur Ersatz war, höhnte sein Liverpooler Kollege Michael Owen: „Die Deutschen müssen ja eine gute Mannschaft haben, wenn mein Kumpel Didi dort nur auf der Bank sitzt."

Am Samstag, wenn die Deutschen in Seogwipo als Gruppenerster im Achtelfinale gegen Paraguay um den Einzug ins Viertelfinale spielen, wird Hamann nicht einmal auf der Bank sitzen: Weil er gegen Kamerun seine zweite Gelbe Karte gesehen hat, ist er für dieses Spiel gesperrt. Der schwache spanische Schiedsrichter Lopez Nieto stellte in dieser Partie mit insgesamt zwölf Gelben und zwei Gelb-Roten Karten einen Turnier-Rekord auf.

Als Ersatz für Dietmar Hamann auf der zentralen Position böte sich Jeremies an. Doch Jeremies ist mehr Eilts als Emerson. Vielleicht merken die Deutschen dann, welchen Wert Hamann für das Spiel der Nationalmannschaft besitzt.

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