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Sport: Nur im Ernstfall eine Wurst!

Was isst ein Gourmetkoch im Fußballstadion? Am besten gar nichts, sagt Tim Raue. Hier erklärt der „Koch des Jahres 2007“, warum er gerne auf Bratwurst, Bier und Bouletten verzichtet – und lieber Champagner in der VIP-Loge trinkt. Auch wenn er dafür verachtet wird

Stadion-Delikatessen haben auf mich die gleiche Anziehungskraft wie das Massenpinkeln – nur wenn es um Leben und Tod geht, lasse ich mich darauf ein. Als absoluter Bierverächter blieb mir bei der WM 2006 gar nichts anderes übrig, als in die VIP-Loge zu gehen. Denn bei uns Küchenchefs erwacht an einem gewissen Zeitpunkt unseres Lebens das Champagner-Gen. Von dem Tag an trinken wir die prickelnde französische Sprudelbrause wie Fans ihr Bier. Deshalb führt mein Weg in die VIP-Loge, von den Kurven- und Stehplätzen verächtlich „Champagner-Loge“ genannt. Noch nie klang Verachtung für mich so erfrischend.

Nur leider ist die Erfrischung schnell dahin, wenn man auch noch feste Nahrung zu sich nehmen möchte. Denn in den Logen gibt es „Essen für Männer“. Nix mit Hummer und Kaviar. Kartoffelsalat und Bouletten geben den Ton an, von Catering-Firmen gereicht, die darauf achten, dass die Nahrungsmittel den Hygienebestimmungen entsprechen und sie daher so lange wie möglich bei 40 Grad Celsius unter dem Gefrierpunkt lagern. Feines Happi-Happi. Besonders, wenn dazu ein Schlager wie Paraguay-Schweden aufgeführt wird. Fehlt nur noch, dass ich ganz, ganz dringend pinkeln muss.

Was bleibt mir also anderes übrig, als außerhalb des Stadions auf Nahrungssuche zu gehen? Bin ich dadurch ignorant und lehne mich auf gegen das Ritual „Mann-verspeisen-Tier-dann-großes-Sportfest-erleben-und-lecker-Massenpipi“? Ja, und verdammt nochmal doppelt ja!

Sport ist etwas Kulturelles, viele Kulturen spielen in einer Mannschaft oder für ein Land, und ebenso prallen kulturelle Unterschiede aufeinander, wenn sich in den Stadien Zigzehntausende versammeln. Die Begeisterung für ihre Mannschaft eint sie, die Esskultur trennt sie. Oft hängt das schon von der jugendlichen Prägungsphase ab. Wenn man Hochkultur von den Eltern kennt, dann gab es zu Hause entweder ein Prä-Theater-Dinner oder einen Käseteller im Anschluss an die Opernaufführung. Ich komme aus Kreuzberg, das kulturelle Highlight war dort im kulinarischem Zusammenhang die Currywurst mit Pommes am 1. Mai.

Jedes Land definiert sich auch über seine Sportkultur und der damit verbundenen Sozialkomponente des Essens. Der Deutsche geht ins Stadion, isst Bratwurst, spült mit kühlem Blonden, zur Halbzeit Austritt, zur Erfrischung noch zwei Blonde. Die uns nicht wirklich sympathischen Holländer, aus fußballhistorisch-völlerischer Sicht, machen es ähnlich – dort liegt der Schwerpunkt aber auf Fritten. Die Engländer gehen wegen des Spiels ins Stadion, Warmmachen im Pub inklusive, das macht sie mir sympathisch. Weiter südlich darf es gerne auch ein Weinchen sein, Fußball ist eben auch ein Spiel für Connaisseure. In den USA sind Hot-Dogs ganz weit vorne, die Amerikaner essen sogar Popcorn im Stadion, aber dort sind Heimspiele eben auch Familienausflüge. Der deutsche Fan schätzt eher das Grillen und teilt dies am liebsten mit dem Rudel, die Bratwurst ist also das richtige Leckerchen, um sich gemeinsam auf die Schlacht einzustimmen und die Laune mit Hopfensaft anzuheizen. Aber muss das wirklich so sein? Die Frage ist doch: Quäle ich mich mit den Genüssen der Fußballarenen oder suche ich mir auf dem Weg dorthin meine kulinarische Einstimmung auf hohes Sportgut, zelebriert von Ballack und Co.?

Dass der Stadionbesuch eine ganzheitliche Experience ist, die auch die Nahrungsaufnahme beinhalten muss – diese Ansicht teile ich nicht. Mag es auch wunderbare Gesamtkunstwerke wie die Schalker Arena und die Arena in München geben: Ein McDonalds-Menü verdirbt jede Feierlaune. Ich gehe zum Fußball, um ein Spiel zu sehen und um anschließend an einem Ort, der mich willkommen heißt, mit meinen Kumpels das Erlebte Revue passieren zu lassen. Mit diesem Ort meine ich eine anständige Bar mit einer vernünftigen Champagner-Auswahl. In Leverkusen können Sie sogar im Anschluss an ein Spiel in einem Hotel übernachten, das in das Stadion gebaut wurde. Der Zimmerservice bringt Ihnen gerne noch eine Gute-Nacht-Wurst ans Bett, sollten es noch nicht genügend im Stadion gewesen sein.

Gibt es eigentlich schon Bio-Kost im Stadion? Das wäre eine Idee: lecker Gemüsestick, Dinkeleintopf und frisch gepresste Fruchtsäfte. Aber – nein! Das wollen wir auch nicht. Aber wir sollten unsere elementaren Bedürfnisse doch besser da stillen, wo Genuss-Arenen errichtet wurden. Dort gibt es zwar im Anschluss kein Spiel auf dem Rasen, aber einen Limo-Transfer in die VIP-Loge. Und nur im Ernstfall eine Wurst! Es bleibt mir nichts anderes übrig, als für mich ganz subjektiv festzustellen: Essen im Restaurant, Fußball im Stadion.

Tim Raue wurde vom Gault Millau Guide zum Koch des Jahres 2007 in Deutschland gewählt. Er ist Küchenchef des Restaurants MA in Berlin.

Tim Raue

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