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Sport: Nur nicht provozieren

Deutsche Funktionäre vermeiden vor Olympia in Peking sorgsam kritische Anmerkungen zu China

Von „Zitatgymnastik und Ping-Pong-Diplomatie“ sollte die Rede sein – eine Überschrift, die auf den ersten Blick amüsant klang und in der Deutschen Sporthochschule in Köln Unterhaltung versprochen hatte. Doch nachdem Daniel Leese, der junge Historiker und Chinaforscher aus München, beim Symposium „Sport in China“ seinen eindrucksvollen Vortrag gehalten hatte, schaute er in pikierte Gesichter, vor allem bei vielen Teilnehmern aus China. Die meisten Referenten und Diskussionsteilnehmer achteten fast peinlich vor allem auf einen Punkt: Die hochkarätigen Gäste aus China sollten nicht provoziert werden. Doch Leese nahm keine Rücksicht. Und so schockte er seine Zuhörer mit seinen Ausführungen über den Sport unter dem kommunistischen Diktator Mao Tse-tung in der Zeit der chinesischen „Kulturrevolution“ (1966-1976). Leese erklärte unter anderem, dass Mao die Leistungssportstrukturen in China, die seit Mitte der 1950er Jahre gewachsen waren, radikal zerschlagen hatte, weil sie als Ausdruck des Kapitalismus galten. Mit seiner wissenschaftlichen Distanz und Strenge bildete Leese allerdings eher die Ausnahme.

Das lag am Anlass dieses Symposiums: Die Sporthochschule feierte ihre 25-jährige Zusammenarbeit mit der Sport-Universität Peking. Und zwei Jahre vor den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking will es sich offenbar kaum einer verscherzen mit den chinesischen Funktionären und Wissenschaftlern. Auch Mitglieder der „Deutschen Vereinigung für Chinastudien“, die das Symposium mitorganisiert hatte, vermieden Konfrontationen, wo es nur ging. Wie sensibel die Debatten über die politischen und gesellschaftlichen Zustände in China in Köln geführt wurden, dokumentierte der Sinologe Helmut Vittinghoff von der Universität Köln. Bevor Ren Hai von der Sport-Universität Peking über „Sport im Dienste der Politik“ sprach, sagte Vittinghoff einleitend: „Es hat mit Politik zu tun, deswegen gehen wir, die Sinologen wie die Chinesen, dieses Thema mit viel Fingerspitzengefühl an.“ Der Vortrag von Ren Hai selbst blieb fast erwartungsgemäß wenig aussagekräftig.

Jene kritischen Themen, die im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in Peking öffentlich diskutiert werden, wurden bei diesem Symposium in einem Akt der Selbstzensur ausgeklammert. Die Themen Menschenrechte und Meinungsfreiheit wurden nicht berührt. Bei Vorträgen, in denen es um die „Kampfkünste in nichtmilitärischen Organisationen des chinesischen Kaiserreiches“ oder „Polosport am Hofe der Tang-Dynastie“ ging, verwunderte das nicht. Aber dass selbst der Vize-Präsident des Leichtathletik-Weltverbands IAAF, Helmut Digel (Tübingen), der sich sonst immer als strikter Anti-Doping-Kämpfer präsentiert, das Wort Doping nicht mal erwähnte, als er die Leistungssportstrukturen Chinas mit denen Deutschlands durchaus kritisch verglich, war doch bezeichnend. Über heikle Themen wurde meist nur bei Hintergrundgesprächen geredet.

Die Olympia-Planungen in Peking „erinnern mich an die Bombastik und das Pompöse bei den Spielen unter den Nationalsozialisten in Berlin 1936“, sagte etwa ein Sinologe bei Kaffee und Kuchen. Namentlich zitiert werden wollte er freilich nicht. Als Grund nannte er ein „mulmiges Gefühl“. Vielleicht war er sensibilisiert durch den erfahrenen Sportfunktionär Walther Tröger. Das langjährige, deutsche Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees hatte am Abend zuvor, bei einem Essen im Sportmuseum, erklärt: „In China sind Entwicklungen möglich, die das Ereignis behindern können.“ Es wurde nicht ganz klar, was er konkret damit meinte, aber offenbar bewirkte der Satz, dass sich mehrere Symposium-Teilnehmer vorsichtshalber öffentlich zurücknahmen. Je näher die Olympischen Spiele rücken, umso stärker drängen sich deshalb Fragen auf: Werden deutsche Funktionäre und andere Fachleute die Probleme in China offen ansprechen? Oder verrenken sie sich in diplomatischer Wortgymnastik?

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