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Sport: Offen und verhüllt

Irans Frauen sprechen bei den Paralympics in Athen freimütig über ihre Probleme – aber ohne Kopftuch startet keine

Fatemeh Montazeri schlägt die geballte Faust auf den Oberschenkel. Acht Meter vierzig mit der Kugel – das kann sie besser. „In Teheran stoße ich neun”, sagt die 24-Jährige. Im deutschen Team würde der Trainer seine Sportlerin jetzt vielleicht umarmen oder auf die Schulter klopfen: wird schon noch! Im Iran funktioniert Coaching nur mit Sicherheitsabstand. Denn Trainer Hormoz Rad Sadeghi Nia darf eine weibliche Sportlerin nicht berühren.

„Islamic Republic of Iran“ steht auf dem weißrotgrünen Trainingsdress, und bei den zwölften Paralympics sind die Farben der 200 Mitglieder starken Delegation oft zu sehen. Doch auffälliger ist etwas anderes: Sechs der 99 Sportler in der Paralympics-Mannschaft sind Frauen – und dürfen nur vollverkleidet und mit Kopftuch antreten. So besagt es der muslimische Glaube. Doch sonst halten sich die Damen aus dem Iran gar nicht bedeckt. Fatemeh fläzt sich nach ihrem ersten Kugelstoßwettkampf während einer Pause auf den Schalensitzen des Olympiastadions und verarbeitet den ersten Start mit Trainern und Betreuern. Natürlich habe sie Zeit für ein Gespräch. Ihr Händedruck ist kräftig.

„Ist heute nicht mein Tag“, sagt die Frau mit weißem Kopftuch. Fatemeh hatte Kinderlähmung, auf den ersten Blick sieht man ihr das nicht an, aber mit dem rechten Bein hat die junge Frau aus Teheran Probleme. Sie muss oft an Krücken laufen, im Wettkampf stößt sie von dem fest installierten Hoch-Rollstuhl. Die Frau mit der Trikotnummer 1567 ist in die Handicap-Kategorie F58 eingeordnet – damit gilt sie als verhältnismäßig gering behindert. Drei Leichtathletinnen und drei Schützinnen gehen bei den Paralympics für den Iran an den Start. Frau Montazeri gehört zu den erfahrensten Athletinnen in Team. Vor vier Jahren hat sie das Wettkampfkopftuch bereits in Sydney umgebunden.

Behindert die verhüllende Kleidung nicht im Wettkampf? „Sehen Sie doch“, sagt Fatemehs Kotrainerin Vida Mazhar, „Tuch und Sportanzug sitzen ganz locker, da hat sie genug Bewegungsfreiheit.“ Die 42-Jährige mit dem hellblauen Kopftuch war in den Siebzigerjahren selbst erfolgreiche Sportlerin, im Hürdenlauf und beim Hochsprung. Unter dem hellen Blazer trägt sie Jeans – auch die Beine gehören bedeckt. Für die Frauen aus dem Iran ist ihre Kleidung kein Problem. Aber die Umwelt bereitet ihnen schon mal Schwierigkeiten. Gerade auf dem Land ist das Leben wenig behindertengerecht: Die Straßen sind steinig, die Bürgersteige hoch, wenn es sie denn überhaupt gibt. Oft fehlen behindertengerechte Häuser, Aufzüge, Toiletten oder Fahrzeuge. Viele der Frauen mit Handicap sind arbeitslos.

Fatemeh hat vergleichsweise Glück. Sie arbeitet in einem Gesundheitssportcenter, ist im Schwimmbad dafür zuständig, dass dort alles läuft: Training, Rettungsschwimmer, Kurse. Sie lebt noch bei ihren Eltern, ist Single und hat dadurch erst recht Zeit fürs Training. Das Team für die Paralympics wurde bei landesweiten Wettkämpfen gesichtet, gut zwei Jahre dauerte die Vorbereitung auf Athen. In ihrer Heimat sind behinderte Frauen im Leistungssport wie Fatemeh zwar noch keine Helden, aber dennoch wollen ihnen immer mehr junge behinderte Leute nacheifern.

„Früher haben vor allem Versehrte aus dem Krieg mit dem Irak paralympischen Sport betrieben“, sagt Trainerin Vida Mazhar. Inzwischen aber seien es „tausende junge Leute im Land“, die ihre Handicaps durch Sport kompensieren und einen neuen Inhalt im Leben nach Unfall oder Krankheit finden wollen. Das aber strikt nach Geschlechtern getrennt. „In den Kindergarten gehen wir noch zusammen“, sagt Fatemeh. Für Mädchen und Jungen gibt es getrennte Schulen. Duschen denn die Mädchen zusammen? Mancherorts gebe es so etwas gar nicht. Und das Training? Manchmal üben die Mädchen morgens, die Jungs abends.

Annettte Kögel[Athen]

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