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Avantage Haas. In Sachen Einstellung ist der 35-Jährige weiter vorbildlich.

© AFP

Ohne Biss und Disziplin: Deutsches Männer-Tennis in der Krise

Wer kommt nach Thomas Haas? Dem deutschen Tennis fehlt es trotz sechs Spieler unter den besten 100 an leistungswilligen Talenten. Den großen Champion sucht man weiter vergebens.

Das nass-kühle Wetter, das am Dienstag den Stade Roland Garros beherrschte, war gar nicht nach dem Geschmack von Thomas Haas. Der Sandboden schwer und langsam, das behagt weder seinem Spiel noch seiner mehrfach operierten Schulter. Eine Erkältung hatte den 35-Jährigen zudem in den letzten Tagen geplagt. Spaß würde sein Job in der ersten Runde gegen den Franzosen Guillaume Rufin also nicht machen, das war Haas klar. Doch es sind seine zwölften French Open, vielleicht seine letzten. Und so ging die Nummer 14 der Welt raus, kämpfte unermüdlich – und gewann mit 7:6, 6:1 und 6:3. Sein nächster Gegner wird nun der 20-jährige US-Amerikaner Jack Sock sein, die Nummer 118 der Weltranglister. Doch die späte Erfolgstournee des Thomas Haas verklärt den Blick auf die Lage des deutschen Herrentennis. Wer kommt, wenn Haas geht? Die Aussicht ist trübe.

Noch vor ein paar Jahren wurden die Deutschen diesbezüglich beneidet, beispielsweise von den Briten. Denn während zeitweilig bis zu elf deutsche Profis unter den Top 100 rangierten, hatten die Nachbarn von der Insel eben nur den einen, Andy Murray. Inzwischen hat dieser Murray jedoch einen Grand Slam und Olympisches Gold gewonnen. In Deutschland dagegen sucht man den großen Champion weiter vergebens. Obwohl in dieser Woche sechs Spieler zu den besten 100 gehören, haftet ihnen längst der Makel an, sie seien mehr Masse als Klasse. Neben Haas stehen noch Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer in den Top 30, aber beide werden im Herbst 30 Jahre alt. Sie sind die Gegenwart, nicht die Zukunft.

Hinter dem Trio klafft bereits eine Lücke. Der 25-jährige Daniel Brands ist als Nummer 59 der Welt der nächste und nach seinem tollen Erstrundenmatch gegen Rafael Nadal Gesprächsthema in Paris. Nadals Trainer-Onkel Toni schüttelte noch am Tag nach dem Match ungläubig den Kopf: „Wie der Junge aufgeschlagen hat, einfach unfassbar.“ Brands hatte vor drei Jahren mit seinem Sprung ins Achtelfinale von Wimbledon schon seine Qualität untermauert. Doch er brauchte bis zu diesem Saisonbeginn, bis er den frühen Erfolg verkraftet hatte. Um in der Rangliste nach oben zu klettern, muss man eben Woche für Woche konstant gut spielen.

„Viele sind talentiert“, sagt Toni Nadal, „aber es braucht mehr, um es ganz nach oben zu schaffen. Boris war ein Kämpfer. Man muss es wollen, und man muss arbeiten.“ Eben jener Boris Becker spricht der Nachwuchsgeneration diese Fähigkeit ab. „Bei den deutschen Männern passt die Quantität, die Qualität suche ich aber noch“, sagte Becker gegenüber Eurosport. „Was mir fehlt, ist der 21-Jährige, der auf Platz 25 im Ranking steht und die Chance hat, die Top 10 anzugreifen.“ Unter den besten 100 sind sie bereits Mitte 20 oder älter, der Jüngste ist Cedrik-Marcel Stebe mit 22 Jahren, und der steht auf Platz 161. Gerade jenem Stebe, der seit Jahren als größtes Talent gehandelt wird, mangelt es an Bodenhaftung. Stebes Sieg im September, der den Abstieg der deutschen Mannschaft aus der Weltgruppe verhinderte, sendete ihm und seinem elterlichen Umfeld offenbar das falsche Signal. Der Höhenflug fand nur im Kopf statt. In der Qualifikation der French Open scheiterte Stebe in Runde zwei, und hinterher war die Freude über seinen neuen Haarschnitt größer als der Ärger über das Aus.

„Einigen fehlt vielleicht der nötige Biss und die Disziplin“, kritisierte auch Haas kürzlich. Im Vergleich zum Trainingspensum eines Nadal, der schon mit 16 Jahren sechsmal die Woche drei Stunden lang auf dem Platz arbeitete und heute nicht weniger akribisch ist, sei Haas oft entsetzt, wenn er die deutschen Youngster sehe: „Manche sind einfach zu faul. Die treffen zwei, drei Mal den Ball richtig und glauben schon, sie seien große Tennisspieler.“

Der neue Bundestrainer Carsten Arriens möchte da Abhilfe schaffen. Er hat ein schlüssiges Konzept für diese knifflige Aufgabe. Jedoch bekommt er vom Deutschen Tennisbund bisher nicht das Geld, um den Strukturaufbau langfristig angehen zu können. Haas wird also weiter durchhalten müssen.

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