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Sport: Ohne Defilee

Gemischte Gefühle in Frankreich nach dem Finale

Die Party fiel kleiner aus als geplant. Auf die große Parade auf den Champs-Elysee hatten die Spieler verzichten müssen, stattdessen zeigten sie sich vom Balkon des „Hotel Crillon“ am Place de la Concorde in Paris. Rund 100 000 Zuschauer sahen, wie David Trezeguet, der den einzigen Elfmeter verschossen hatte, mit den Tränen kämpfte und von seinen Mannschaftskollegen Thierry Henry und Lilian Thuram gestützt werden musste. Ein anderer hielt sich dezent zurück: Zinedine Zidane.

Er winkte in seinem dunkelblauen Anzug mit Krawatte schüchtern seinen Fans zu und ließ ansonsten dem jungen Frank Ribery, der neben ihm stand, den Vortritt. Sein bitterer Abgang durch den Kopfstoß gegen Marco Materazzi schmerzt die Franzosen mehr als die Niederlage gegen Italien. Trotzdem gab es von den Fans kein böses Wort. Vielmehr schallten „Zizou, Zizou“-Sprechchöre durch die heiße Pariser Luft. In der Menge war ein riesiges Banner mit einem Wort zu sehen: „Merci“. Auch Trainer Raymond Domenech, der in Frankreich lange in der Kritik stand und nicht zu den Sympathieträgern zählt, wurde herzlich begrüßt. Einzig Torwart Fabian Barthez fehlte aus „familiären Gründen“. Zuvor weilte das gesamte Team bei Staatspräsident Jacques Chirac zu einem Dejeuner.

Der französische Verband hatte die geplante Parade auf den Champs-Elysees abgesagt. Trainer Raymond Domenech hatte schon am Sonntagabend nach dem glanzlosen Ausgang des Finales Zweifel geäußert. „Wenn es nach mir geht, gibt es kein Defilee“, hatte er gesagt. „Man feiert keine Niederlagen.“ Schon am Finalabend waren die Fans früh nach Hause gegangen, und die Polizei konnte die Straßen schon eine Stunde nach Mitternacht wieder dem normalen Verkehr übergeben.

Auch in der Öffentlichkeit herrscht Ernüchterung. Die Morgenpresse ist gespalten: „Merci, les Bleus“ schreibt „Le Parisien“, „Cruel“, grausam, findet die „Libération“. Im Vordergrund aber stand jener unerklärliche Kopfstoß, zu dem sich Zinedine Zidane in der Verlängerung gegenüber dem italienischen Verteidiger Marco Materazzi hat hinreißen lassen. Warum, weiß bisher niemand. „Ich bin sehr traurig über Zidane“, sagt der zweifache Judo-Olympiasieger David Douillet, „aber niemand darf ihm das vorhalten.“

So viel Verständnis bringen die Kommentatoren nicht auf. Die Sportzeitung „L’Equipe“ meint: „Das Schwierigste ist nicht zu verstehen, warum die Blauen eine greifbar nahe Weltmeisterschaft nicht gewonnen haben, sondern Millionen Kindern in der Welt zu erklären, wie sich einer wie Zidane dazu hat hinreißen lassen. Das ist unverzeihbar.“ „Le Parisien“ schreibt auch: „Der blaue Engel hat sich in einen Dämon verwandelt.“

Der französische Sportminister Jean-Francois Lamour gehörte zu den ersten Personen, die ihn in der Kabine trafen. „Er war völlig niedergeschlagen, enttäuscht und traurig“, sagte der Minister. Gesprochen habe er nicht. Und das lag nicht etwa am Minister, Zidane hat sich bis gestern Abend öffentlich noch nicht zu seinem Aussetzer geäußert. „Es ging sogar das Gerücht um, dass er gar nicht mehr nach Frankreich zurückkehren, sondern direkt nach Madrid fliegen wollte“, sagte Bouchard.

Zumindest das hat er sich anders überlegt. Zidane flog zwar nicht mit der Mannschaft am Montagmorgen zurück, sondern bereits am Sonntagabend mit seinen Mannschaftskollegen Thierry Henry und Fabian Barthez. Am Montag erschien Zidane dann aber ebenfalls beim Empfang des französischen Staatschefs Jacques Chirac im Elysee-Palast. Er trug einen dunkelblauen Anzug, lächelte ein wenig, aber zumindest gegenüber der Öffentlichkeit schwieg er weiter. Laut seinem Berater will er sich erst in einigen Tagen zu dem Vorfall äußern.

Seiten 2 und 23

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