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Sport: Ohne Hand und Fuß

Oliver Kahn sucht nach seinem Blackout gegen Madrid nach Erklärungen – und kündigt wieder einmal Großes an

München. Kaum jemand wollte sich der gebotenen Anteilnahme versagen, nicht mal die Vertreter des Volkes, heimliche wie offizielle. Popstar David Beckham etwa, der nebenbei für Real Madrid Fußball spielt und nicht im Verdacht steht, zum engeren Freundeskreis Oliver Kahns zu zählen, piepste in herzlicher Fairness: „So ein dummer Fehler kann jedem passieren“. Kollege Luis Figo klang sogar aufrichtig besorgt, als er mit ernster Miene sagte: „Für ihn ist das schlimm, ich denke nicht, dass es ihm gut geht.“ Den schnellen Übergang zur Tagesordnung empfahl dem Torwart derweil jemand, der bislang selten durch seine Hinweise in Sachen Fußball in Erscheinung getreten war. Guido Westerwelle erklärte in wissendem Tonfall: „Shit happens.“ Im Bundestag hätte der FDP-Vorsitzende vermutlich gesagt: „Dumme Dinge passieren nun mal.“

Was alle drei vergaßen: Für einen Torwart, der einen entscheidenden Fehler gemacht hat, ist kaum etwas schlimmer als Trost. „Das ist ja immer gut gemeint“, sagte Oliver Kahn zwölf Stunden nach seinem großen Fehlgriff, „das Beste ist, man lässt mich einfach in Ruhe.“

Natürlich wusste der Kapitän des FC Bayern, dass ihn niemand in Ruhe lassen würde nach diesem kapitalen Missgeschick, das Real Madrid im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League ein unverdientes 1:1 bescherte – am wenigsten er selbst. Dynamisch, willensstark, akribisch im Einsatz; fast alle Attribute, die man gern in seinen Lebenslauf schreibt, ließen sich bei der Beschreibung des Münchner Spiels aufzählen. So überzeugend hatte die Mannschaft die vermeintlich Königlichen als Aufschneider entlarvt, dass man es kaum glauben mochte, dass ausgerechnet Kahn der sportlichen Wiederauferstehung des FC Bayern nach zuletzt miserablen Darbietungen im Wege gestanden hatte. Woran lag es, dass Kahn bei diesem weder besonders scharf noch platziert getretenen Freistoß von Roberto Carlos der Ball unterm Bauch hindurchflutschte?

Eilig bemühte sich Kahn, Vermutungen zu entkräften, wonach seine Rückenverletzung ursächlich gewesen sei für das Gegentor, dazu benutzte er deutliche Worte: „Die Verletzung ist längst überwunden. Den Ball muss man halten, auch wenn man ohne zwei Arme und zwei Beine spielt.“ Niemand mochte sich vorstellen, wie das ausgesehen hätte.

Einige Augenblicke klang Oliver Kahn sehr nachdenklich, wie jemand, der vom Rücktritt abgehalten werden möchte. „Es gibt so Momente in einer Karriere“, sagte Kahn, „da fragt man sich schon: ‚Ist es das eigentlich noch wert?’“ Als ein Reporter sich vergewissern wollte, dass Kahn nicht ans Ende seiner Karriere denke, beruhigte der Torwart: „Aufhören will ich nicht, das dauert noch ein paar Jahre.“

Eine Auszeit wird sich der Kapitän nicht gönnen, es wäre wohl auch gar nicht in seinem Interesse. „Natürlich kann man sagen: ‚Oliver, nimm mal zwei Tage Urlaub’, aber davon würde er keinen Gebrauch machen“, sagte Bayern Münchens Trainer Ottmar Hitzfeld, „ein Oliver Kahn wird sich immer unter Druck setzen, das gehört zu seinem Leben.“

Er ist sich darin nicht untreu geworden, für das Rückspiel nimmt er sich schon jetzt in gewohnt starker Rhetorik in die Pflicht. „Da muss ich halt das Spiel in Madrid alleine gewinnen“, sagte Kahn. Es war schwer zu sagen, wie viel Selbstbewusstsein in seinen Worten lag. Und wie viel Trotz.

Kahn ist im Übrigen nicht der Einzige, der Kahn für das Rückspiel unter Druck setzt. Franz Beckenbauer, Präsident des FC Bayern München und bekennender Freund des offenen Wortes, sagte: „Man kann nur hoffen, dass er in Madrid so gut hält, dass er den Fehler dort wieder gutmacht.“ Im Gegensatz zu Herrn Westerwelle machte er überhaupt kein verständnisvolles Gesicht, als er das sagte.

Daniel Pontzen

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