zum Hauptinhalt

Sport: "Ohne Urteil wurde ich vom Verband als schuldig dargestellt"

UTA PIPPIG (33) aus Petershagen bei Berlin, meist wohnhaft in Boulder/USA, gilt als eine der erfolgreichsten Marathonläuferinnen der Welt.Sie gewann in Boston und Berlin dreimal und siegte auch in New York.

UTA PIPPIG (33) aus Petershagen bei Berlin, meist wohnhaft in Boulder/USA, gilt als eine der erfolgreichsten Marathonläuferinnen der Welt.Sie gewann in Boston und Berlin dreimal und siegte auch in New York.Bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie Olympischen Spielen war ihr bisher eine Medaille verwehrt geblieben.

TAGESSPIEGEL: Zwischen positiv getesteter Dopingprobe und Verbandsgerichtsverfahren - können Sie da eigentlich noch in Ruhe Weihnachten feiern?

PIPPIG: Eigentlich kann ich ganz normal Weihnachten feiern, obwohl das Dopingverfahren natürlich belastend ist.Aber ich freue mich sehr auf die Feiertage, denn ich habe endlich einmal viel Zeit, um mit guten Freunden in Boston zusammen zu sein.Was auch immer in der Zukunft passiert, für mich selbst weiß ich, daß ich nichts genommen habe.Das hilft mir sehr, mit der Situation umzugehen und den Menschen in die Augen zu sehen.

TAGESSPIEGEL: Wie ist der Stand des Verfahrens?

PIPPIG: Im Januar soll meine Anhörung vor dem Verbandsgericht stattfinden.Allerdings haben wir bisher noch keinen Termin.Die Anhörung hat sich verzögert, weil der Vorsitzende des DLV-Rechtsausschusses, Wolfgang Schoeppe, noch weitere Gutachten bestellt hat.Dabei geht es einerseits um meine komplexen gesundheitlichen Probleme zur Zeit der Dopingprobe und deren Auswirkungen auf den Testosteron-Epitestosteron-Quotienten.Andererseits geht es um die wissenschaftliche Verläßlichkeit des Isotopenverfahrens.

TAGESSPIEGEL: Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) sagt, daß per Isotopenverfahren eindeutig nachgewiesen wurde, daß es sich bei Ihrem überhöhten Testosteronwert um die Zufuhr einer körperfremden Substanz handelt.

PIPPIG: Ich glaube, das ist noch verfrüht, so etwas zu behaupten, denn die Beweissicherheit dieses Verfahrens erscheint mir ungenügend.Das Isotopenverfahren ist international immer noch nicht anerkannt, es befindet sich in einem Probestadium.Ich glaube, es ist vielleicht nicht ganz so 100prozentig, wie es viele glauben wollen - speziell bei Frauen, die, wie ich, Probleme mit der Pille haben und parallel dazu noch ein derartiges Krankheitsbild aufweisen wie meines.

TAGESSPIEGEL: Bei der Betrachtung des Langzeitprofils Ihres Testosteron-Epitestosteron-Quotienten kam der DLV zu dem Schluß, daß zwischen 1994 und 1998 keine erheblichen Schwankungen vorlagen, stimmt das?

PIPPIG: Ich weiß nicht, wie der DLV zu diesem Schluß kommen kann.Meine Quotienten schwankten in dieser Zeit zwischen 1,60 und 3,50.Das ist eine Veränderung von deutlich über 100 Prozent.Vor allen Dingen aber schwankte der Epitestosteronwert zwischen anfangs 5,8 und in diesem Jahr 0,4, wodurch auch der Testosteron-Epitestosteron-Quotient beeinträcht wird.Das sind Schwankungen von fast 1500 Prozent.

TAGESSPIEGEL: Der Sportmediziner Wildor Hollmann bezifferte die Chance auf eine Anomalie bei einem Prozent.Er sagte auch, ihm sei kein Fall bekannt, der durch das Absetzen der Pille eine derartige Testosteronwert-Veränderung hervorruft.Darauf bauen Sie jedoch bei Ihrer Verteidigung?

PIPPIG: Es ist nicht verwunderlich, daß Herr Hollmann keinen solchen Fall kennt, denn er ist Internist und nicht Endokrinologe und schon gar nicht gynäkologischer Endokrinologe.Und ich muß noch einmal betonen, die Probleme mit der Pille sind nur eine Facette.Aufgrund des vielschichtigen Krankheitsbildes hatte ich auch hormonelle Störungen.Ich war ständig in ärztlicher Behandlung und kann dies auch beweisen.

TAGESSPIEGEL: Haben Sie bezüglich Ihrer damaligen gesundheitlichen Situation neue Erkenntnisse?

PIPPIG: Ja, es gibt neue Erkenntnisse.In nunmehr vier medizinischen Gutachten wird von Experten mein erhöhter Testosteron-Wert auf die komplexe Erkrankung und das Absetzen der Pille zurückgeführt.Über Details dieser Gutachten möchte ich angesichts des schwebenden Verfahrens zur Zeit noch nicht sprechen.

TAGESSPIEGEL: Sie haben dem DLV schwere Vorwürfe gemacht bezüglich des Verfahrens in Ihrem Fall.

PIPPIG: Es gab eine Reihe von Verfahrensfehlern.Neben der bisher nicht geklärten Vertauschung von A- und B-Probe sowie einer zum Teil ausgelaufenen Probe geht es vor allem darum, daß mir der DLV die Chance für den Beweis meiner Unschuld genommen hat.Wenn ich, wie es die Regeln des DLV bei Dopingverstößen besagen, unverzüglich und nicht erst vier Monate später über die positive Probe informiert worden wäre, hätte ich aufgrund meines damaligen Krankheitszustandes sofort eine Untersuchung veranlassen können, die gezeigt hätte, daß der erhöhte Quotient körperliche Ursachen hatte.Dies muß bei einem derartigen positiven Befund dem Athleten zugestanden werden.Während eines schwebenden Verfahrens wurde ich vom Verband mehrfach bereits als schuldig dargestellt, obwohl es noch gar kein Urteil gibt.Der DLV hat meiner Ansicht nach hier gravierend gegen seine eigenen Regeln verstoßen.Da muß ich die Neutralität des DLV anzweifeln.

TAGESSPIEGEL: Können Sie sich denn vorstellen nach einer Sperre beziehungsweise einem Freispruch wieder für den DLV zu starten?

PIPPIG: Auch wenn ich freigesprochen werden würde, würde ich im nächsten Jahr definitv nicht bei internationalen Höhepunkten für den DLV starten.Ich wurde derart verletzt, daß ich mir zur Zeit nicht einmal vorstellen könnte, bei Olympia 2000 für diesen Verband zu laufen.Aber unabhängig davon freue ich mich schon auf die Wettkämpfe in der Zukunft, denn ich liebe das Laufen und trainiere auch während meiner Suspendierung.

JÖRG WENIG

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false