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Kahn

© Fotot: AFP

Oliver Kahn: Abgang im Kricketland

Es war ein exotischer Abgang: In Kalkutta machte Oliver Kahn sein letztes Spiel – sonst ist das Interesse an Fußball in Indien gering.

Nur wenige Minuten nach dem Anpfiff läuft plötzlich ein Straßenhund mitten über den Platz. Fast wirkt es, als wolle auch er dem Ball hinterherjagen. Die Zuschauermenge auf der vollbesetzten Tribüne bricht in Johlen aus. Selbst ein paar Bayern-Spieler müssen schmunzeln. Nur Oliver Kahn bleibt ungerührt und steht mit unbewegter Miene im Tor. Wie meist in den fast 21 Jahren seiner Profikarriere und den 14 Jahren bei Bayern München.

Auch in anderen Momenten behält der 38-Jährige seine Gefühle an diesem Abend für sich. Ausgerechnet im Kricketland Indien nahm der Mann, den gegnerische Fans einst mit Bananen bewarfen und der als weltbester Torhüter verehrt wurde, nun Abschied. Am Dienstag stand der Fußball-Titan in Kalkuttas Salzlake-Stadion ein letztes Mal im Tor. Indien bereitete ihm einen rauschenden Ausstand – mit 120 000 Menschen spielte Kahn vor der größten Zuschauerkulisse seiner Karriere.

Doch vergeblich wartete die Menge darauf, dass der legendäre Torwart aus Deutschland noch einmal sein Können beweist. Kahn hatte kaum etwas zu tun, nur selten kam der Ball überhaupt in seine Nähe. Zwar ist der 1889 gegründete Fußballklub Mohun Bagan einer der ältesten in Asien, aber gegen die Profispieler von Bayern München hatten die Männer aus Kalkutta keine Chance. Obgleich die Bayern bei tropisch-schwülen 38 Grad kräftig ins Schwitzen kamen, gewannen sie problemlos 3:0. Das Duell blieb meist glanzlos. Nur als Bayerns Brasilianer Breno sich zu einem Tritt provozieren ließ, wurde es für einige Minuten wild.

Doch die sonst so patriotischen Inder ärgerte die Niederlage diesmal nicht. Ohnehin hatte niemand erwartet, dass Mohun Bagan das Freundschaftsmatch gewinnt. Das Spiel war Nebensache, alles drehte sich um Kahn. Er wurde auf Schritt und Tritt von Fans belagert, in der ganzen Stadt gab es Plakate und in der Halbzeit wurde er mit Pokalen und Urkunden überhäuft. Die Gastgeber von Mohun Bagan schenkten ihm sogar eine Trophäe aus Gold mit angeblich 8640 Diamanten. Die Ehrenmitgliedschaft auf Lebenszeit und einen Motorroller gab es obendrauf.

In der 55. Minute war dann der große Moment gekommen: Kahn ging vom Platz und machte für seinen Nachfolger Michael Rensing Platz. 120 000 Menschen skandierten seinen Namen und huldigten ihm mit stehenden Ovationen. „Das ist eine ganz besondere Nacht für mich. Danke Kalkutta“, sagt Kahn später. Am Ende explodierte über dem Stadion zu seinen Ehren ein Feuerwerk. Dass es auch das letzte Spiel von Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld war, davon nahm kaum jemand Notiz, Indien war im Kahn-Fieber.

„Ohne ihn wird Fußball nie wieder das Gleiche sein“, schrieb die Zeitung „Asian Age“. „Er war das Gesicht von Bayern München und des deutschen Fußballs.“ Fast alle großen Zeitungen berichteten über das Spiel, der Kanal Z Sport übertrug es sogar live, außergewöhnlich im sonst völlig von Kricket besessenen Land. Die Zuschauermenge täuscht darüber hinweg, dass Indien fußballmäßig noch weitgehend unerschlossen ist, die Stadt Kalkutta bildet da eine Ausnahme. Bei Kahn denken die meisten der 1,1 Milliarden Inder an den muslimische Namen „Kahn“.

Das macht den Subkontinent für die großen europäischen Vereine so interessant. Sie würden das Interesse am Fußball auch in Indien steigern wollen, schreibt die „Hindustan Times“, das Ziel sei der Aufbau einer globalen Fangemeinde. Das große Finale Kahns dürfte nicht nur das runde Leder, sondern auch Bayern München in Indien populärer gemacht haben. „Der Fußballwahnsinn greift in Kalkutta um sich“, schrieb die „Daily India”.

Christine Möllhoff[Neu-Delhi]

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