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Bei dem heutigen Eröffnungsfeier wird die olympischen Spiele richtig anfangen.

© dapd

Olympia 2012: London hat schon gewonnen

Heute werden die Olympischen Spiele eröffnet. Doch welches Vermächtnis werden sie hinterlassen? Der Sporthistoriker Christopher Young hat für uns in die Zukunft geschaut – und von dort zurück.

Olympische Spiele kommen erst in der Geschichte richtig zur Entfaltung. Erinnern wir uns: Berlin 1936 (Spiele, die heute lebendiger denn je scheinen), Moskau 1980 (heute ein großes Thema für Studien zum Kalten Krieg) oder Barcelona 1992 (als Schlüsselmoment der katalanischen Identität). In 20, 30 Jahren, wenn China zu den neuen USA geworden ist, werden die Spiele in Peking 2008 ein prophetisches Moment darstellen. Und was wird von London bleiben?

Durch die Brille eines Historikers schauend möchte ich erörtern, wie diese Spiele in der britischen Nationalgeschichte und der Weltgeschichte erinnert werden könnten. Dazu fünf Thesen:

1. LONDON MACHT GEWINN 

Die beste Nachricht zuerst: Diese Spiele sind nicht zur riesigen Belastung der öffentlichen Kassen geworden. Entscheidend war hierbei, dass London bis zum Schluss nicht erwartet hatte zu gewinnen: Klarer Favorit für 2012 war Paris. Londons Bürgermeister Ken Livingstone, früher Labour-Hardliner und inzwischen ein unabhängiger Politiker, stimmte der Bewerbung zu, weil er hoffte, auch ihr Scheitern könnte London voranbringen. Ein großer Teil der Budgetplanung wurde auf der Rückseite eines Briefumschlags vorgenommen, also gar nicht.

Erst auf dem Flug zur Entscheidung in Singapur gestanden sich Londons Bewerber ein, dass sie tatsächlich gewinnen könnten (was geschah). Auch wenn die Finanzkrise noch auf sich warten ließ – die nachträglichen Budget-Verhandlungen mussten mit dem damaligen Schatzkanzler Gordon Brown, einem knausrigen Schotten, der den Spielen skeptisch gegenüberstand, geführt werden. Das bewahrte London vor Verschwendung.

Die Spiele haben letztendlich neun Milliarden britische Pfund (11,5 Milliarden Euro) gekostet. Der Großteil dieser Summe (sieben Milliarden Pfund) wird aber in langfristige und überfällige Infrastruktur im Südosten Londons investiert. Der britische Steuerzahler wird insgesamt mit zwei Milliarden für Ephemeres (Feiern und Feuerwerk) belastet, was mit Blick auf die durch die Spiele initiierte Erneuerung Ostlondons einen guten Handel darstellt.

Olympiafieber in London

2. ENGLAND IST WIEDER WER

Die Spiele stellen für Großbritannien einen seltenen Erfolg im globalen Sportnetzwerk dar. Ganz anders als beim Kampf um Fußball-Weltmeisterschaften: Die WM 2006 wollte der englische Verband zuerst in Deutschland sehen, bewarb sich dann aber doch – so verlor England weltweit Sympathien und viel Geld. Englands letzte, von David Beckham und Prinz William unterstützte Bewerbung für die WM 2018, scheiterte an Russland und erhielt trotz technisch bester Voraussetzungen nur zwei Stimmen (davon eine vom eigenen Repräsentanten). Eine Blamage.

Bei Olympia bediente England dagegen die Schaltstellen der Macht ausgezeichnet. Als zentral erwies sich die Kombination aus Ken Mills, dem millionenschweren Erfinder der Flugmeilen, sowie dem doppelten Olympiasieger Lord Sebastian Coe, einem Sportler mit der unersättlichen Ambition, in jedem Aspekt seines Lebens erfolgreich zu sein.

Tony Blair, die Umwelt und Großbritannien als Sportnation

3. TONY BLAIR IST OLYMPIASIEGER

Seit fünf Jahren hat er sein Amt als britischer Premier verlassen – doch heute beginnen Tony Blairs Olympische Spiele.

Ab den achtziger Jahren hatte sich Großbritannien zweimal um Olympia beworben – und war mit Birmingham und Manchester gescheitert. 1997 kam Blairs New Labour an die Macht, und das britische Olympische Komitee prüfte erstmals die Durchführbarkeit von Spielen in London – der Impuls kam vom Sport, passte aber politisch in die Zeit. Kein Brite wird die Euphorie vergessen, die nach 18 Jahren konservativer Regierung Blairs Erdrutschsieg auslöste (mit 43 war er der jüngste Premierminister seit 1812). Genau jetzt kam die Idee in die Politik, sich mit London zu bewerben. Und 2001 wurde die Kampagne zementiert, als Blair seine zweite Wahl gewann. Die Bewerbung atmete Blairs Ambitionen für ein New Britain – selbstbewusst und führungsstark auf der Weltbühne, ein junges ‚Cool Britannia’, das er durch die Einladung von Designern und Popstars in die Downing Street Number 10 gefördert hatte. Als 2005 die Entscheidung anstand, befand sich Blairs Popularität im Niedergang. Trotzdem setzte er sich mit Leib und Seele für London ein. Tagelang sprach er mit IOC-Mitgliedern und gab so der Bewerbung den entscheidenden Swing. Obwohl Blair gegenwärtig dem Gestern angehört – der Mann, der auf Prinzessin Dianas Beerdigung einst so gefühlvoll aus der Bibel vorlas, war zur diesjährigen königlichen Hochzeit nicht eingeladen – sind seine Spiele auf Höhe der Zeit; in Blairs neuer britischer Mitte.

4. LONDON WIRD GRÜNER – EIN WENIG

Mit den Spielen verfolgt London eine Reihe konventioneller Ziele: die Umwandlung des Ostlondoner Kerns, die Erbauung des olympischen Parks im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit sowie die Darstellung Großbritanniens als kreatives, integratives und gastfreundliches Land. All das ist gut und nötig, aber natürlich nicht frei von Ironie: So mag der olympische Park ein Modell grünen Lebens darstellen, doch das größte Shoppingcenter Europas, welches das Areal ökonomisch rentabel machen soll, wird damit beworben, dass es für zehn Prozent aller Briten innerhalb einer Autostunde erreichbar ist. Schadstoffneutral dürfte dies kaum sein.

5. ENGLAND WIRD SPORTLICHER – ODER?

Die Spiele von London streben ein besonderes Vermächtnis an: den Wunsch, die englische Bevölkerung gesünder zu machen. Die Anzahl an Fettleibigen ist nie höher gewesen als jetzt, der Anteil liegt bei 30 Prozent der Bevölkerung; das Maß an körperlicher Inaktivität war wiederum nie niedriger. Nach dem Olympia-Zuschlag wurde der Schulsport reformiert, mit drei Sportstunden pro Woche. Gordon Brown, selbst passionierter Sportler (er verlor ein Auge beim Rugby), hat sich nach seiner Wahl zum Premier 2007 insbesondere dieser Initiative gewidmet. Allerdings ist inzwischen international belegt, dass Olympische Spiele auf die sportliche Betätigung der breiten Masse kaum Langzeitwirkung haben. Australien, das 2000 großartige Spiele ausrichtete, hat vor kurzem eine staatliche Untersuchung zum geringen Fitness- Grad der Nation einleiten müssen. Und das fitteste und gesündeste Land Europas, Finnland, richtete zuletzt 1983 ein Sportereignis von Bedeutung aus.

Ab heute kann sich England feiern. London wird großartige Spiele ausrichten – vorausgesetzt, dass keine Katastrophe passiert (so sollte nicht vergessen werden, dass Londons 11. September, also die Bombenanschläge auf sein Transportwesen einen Tag nach dem olympischen Zuschlag für London verübt wurden). Dennoch, diese Spiele finden in einem spannenden Augenblick der britischen Geschichte statt. Großbritannien, ein nicht nur ob der Wirtschaftskrise und der Sozialaufstände verunsichertes Land, kann vor aller Welt zu sich finden.

Christopher Young ist Sporthistoriker und Chef des Germanistischen Instituts an der Universität Cambridge. Gerade erforschte er das Vermächtnis der Olympischen Spiele 1972 in München.

Christopher Young

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