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Kein Müll in Sicht. Spezielle Boote halten die Bucht vor Rio während der Surf-Wettbewerbe sauber. 

© dpa

Olympia 2016: Surfen in Rio - zwischen Müll und Idyll

In der Guanabara-Bucht surfen die Athleten zwischen Unrat und Abwässern. Doch auch der Deutsche Toni Wilhelm übt sich in Gelassenheit.

Zwölf Uhr Mittags am Strand von Flamengo. Die Sonne strahlt, der Himmel ist blau und gleich geht es mit den olympischen Segelwettbewerben los. Ja, wo sind sie denn nun? Die Toilettenbecken, Hundekadaver, Autoreifen, Fernseher – soll ja alles hier rumschwimmen in der Guanabara-Bucht, der größten Kloake der Welt und in diesen Tagen Revier der olympischen Segelwettbewerbe. Die New York Times hat den Sportlern gerade erst empfohlen, auf dem Wasser den Mund zu halten oder, besser noch, eine Gasmaske zu tragen. Was die öffentliche Darstellung betrifft, könnte Rio einen prima Schauplatz abgeben für die Verfilmung von „Der Müll, die Stadt und der Tod“, Rainer Werner Fassbinders Theaterstück aus dem Jahr 1975.

Ach was, sagt Nick Dempsey: „Das Wasser war hell und es gab kein Problem. Es war ein perfekter Tag zum Surfen.“ Der Brite Dempsey hatte 2004 in Athen Bronze in der RS:X-Klasse gewonnen und 2012 in London Silber. In Rio fällt ihm die Ehre zu, den ersten olympischen Vorlauf in der Guanabara-Bucht zu gewinnen, begeistert angefeuert von einer größeren britischen Kolonie, die es sich mit Union Jacks und Bier auf Bastmatten und Handtüchern am Strand bequem machen. Rechts erhebt sich der Zuckerhut über die Bucht, links streckt sich die Brücke über die Bucht zu Rios Partnerstadt Niteroi, wo sich Oscar Niemeyer mit seinem Museum für Zeitgenössische Kunst verewigt hat. Die Blätter der Palmen rascheln im Wind. Es gibt nicht so viele schönere Segelreviere auf der Welt.

Toni Wilhelm hat sich an die Verhältnisse gewöhnt.
Toni Wilhelm hat sich an die Verhältnisse gewöhnt.

© Imago

Flamengo ist einer der besser gestellten Stadtteile Rios. Der aufgeschüttete Strand ist vor Jahren dem Meer abgerungen worden, ein sandiger Ausläufer der riesigen Guanabara-Bucht, die mit 380 Quadratkilometern fast so groß ist wie der Bodensee. Ein gut 400 Meter langes Stück Strand ist für zwei Wochen olympische Sonderzone, bewacht von Soldaten der brasilianischen Marine, die in ihren Tarnanzügen in der Sonne schwitzen und gelangweilt auf ihre Maschinenpistolen schauen. Weiter vorn haben die Gäste aus der ganzen Welt ihre Fahnen in den Sand gebuddelt, sie kommen aus Kanada, Finnland, oder Malaysia. Ganz vorn grüßt das Himmelblau Argentiniens mit dem darauf gepinselten Hinweis, dass Buenos Aires nur 700 Kilometer weit weg ist. Ein paar Deutsche sind auch hier.

Toni Wilhelm freut sich über den Zuspruch aus der Heimat. Vor vier Jahren in London ist er auf Platz vier haarscharf an einer Medaille vorbeigesurft, diesmal soll es noch ein bisschen besser werden. Es läuft auch ganz gut an für den 33-Jährigen, aber dann bremst ihn ein Windloch aus: „War einfach nicht zu sehen, sind sehr schwierige Verhältnisse hier.“

Rio hat das Problem mit der Bucht lange unterschätzt

Toni Wilhelm gehörte vor den Spielen zu den schärfsten Kritikern der Verhältnisse in der Guanabara-Bucht. Er hat sich geärgert über Trainingstage, an denen er sein Brett nicht mal 100 Meter weg steuern konnte, ohne mit der Finne in Plastiktüten, Holzlatten oder Kabeln zu verhaken. Er hat sich vor dem grüngelben Wasser geekelt und literweise mit Desinfektionsmittel übergossen. Und jetzt? „War okay“, sagt Wilhelm. Er hat beim Surfen kein Auge für den Zuckerhut und kein Ohr für den über der Bucht knatternden Hubschrauber, aber wie jeder Surfer hat er einen Radar für alles, was sich vor ihm im Wasser befindet. „Diesmal ist mir nichts aufgefallen“, erzählt der Mann aus dem Schwarzwald.

Rio hat das Problem mit der Guanabara-Bucht lange Zeit unterschätzt oder ignoriert oder nicht in den Griff bekommen, so genau ist das nicht auszumachen. Tag für Tag gelangen 800 Tonnen Müll und stündlich 18 000 Liter Abwasser in die Bucht. An den innerstädtischen Stränden von Flamengo und Botafogo mögen die Cariocas schon seit Jahren nicht mehr baden. Dazu fahren Rios Einwohner lieber ein paar Kilometer weiter nach Copacabana oder Ipanema, wo das offene Meer eine Wasserqualität garantiert – aber das Segeln und Surfen wegen der hohen Wellen unmöglich macht. 45 Bäche und Flüsse und unzählige Rohre entwässern in der Bucht. „Abwasser und Regenwasser werden nur in der Theorie getrennt“, sagt David Lee, er verantwortet die Meeres-Abteilung der Staatlichen Universität von Rio de Janeiro. „An stürmischen Tagen fließt alles zusammen und ungefiltert in die Bucht.“

Zum Glück ist der Winter in Rio bisher trocken

Rio hat Glück, dass es im brasilianischen Winter bisher trocken bleibt und keine Regenschauer Dreck aus den umliegenden Bergen in die Guanabara-Bucht spülen. Für die zwischenzeitliche Annehmlichkeit sorgen spezielle Müllboote, die rund um die Uhr durch die Bucht kreuzen und Unrat aus dem Wasser fischen. Eduardo Paes preist das meteorologische Glück als verdienten Nebeneffekt seiner Politik. „Wir hatten vor den Spielen 27 Umwelt-Projekte, nicht alle hatten etwas mit Olympia zu tun“, sagt Rios Bürgermeister. „Das Ziel einer sauberen Guanabara-Bucht ist das einzige, das wir noch nicht erreicht haben. Es gibt immer noch Probleme mit Bakterien. Aber es ist nicht so schlimm, wie die Leute sagen.“

Jedenfalls nicht in Rios mildem Winter um zwölf Uhr mittags am Strand von Flamengo, zum Start der olympischen Surf- und Segelwettbewerbe.

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