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Riesenjubel in Südkorea: Pyeongchang wird die Olympischen Winterspiele im Jahr 2018 ausrichten.

© Reuters

Olympia-Entscheidung: München scheitert an Pyeongchang

Bis zum Schluss hatte München gehofft, aber am Ende fiel die Entscheidung eindeutig zugunsten von Pyeongchang aus. Die südkoreanische Stadt richtet damit 2018 die Olympischen Winterspiele aus.

Im neugotischen Münchner Rathaus sind vor dem Aufgang zum Turm wichtige und weniger wichtige Ereignisse der Vergangenheit in Stein gemeißelt. „Üb Aug und Hand fürs Vaterland – zur Erinnerung an die Deutschen Bundesschießen 1881, 1906, 1927“ ist dort zu lesen. Ein anderer Stein erinnert an die „XX. Spiele der Olympiade München“. Um ihn herum sind noch Flächen frei – doch seit dem späten Mittwochnachmittag steht fest, dass so schnell keine weitere Olympia-Inschrift hinzukommen wird. 

Große Enttäuschung machte sich unter den Tausenden Zuschauern auf dem Münchner Rathausplatz breit, als der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Jacques Rogge, um 17:18 Uhr in Durban einen Umschlag öffnete und sagte: „Die Olympischen Winterspiele 2018 gehen nach -  Pyeongchang.“ Die südkoreanische Delegation im Saal jubelte, die Münchner trauerten. München landete mit 25 Stimmen auf Platz zwei, Annecy bekam sieben und der Gewinner Pyeongchang setzte sich mit 63 Stimmen deutlich durch.

Damit werden die 6,7 Milliarden Euro teuren Spiele unter dem Motto „Neue Horizonte“ in Pyeongchang Wirklichkeit. München hingegen muss sich überlegen, ob es für 2022 erneut antreten will. Die Internetadresse „muenchen2022.org“ hat sich ein Verantwortlicher des Deutschen Olympischen Sportbundes bereits gesichert. "Wir werden bereits in der nächsten Woche Gespräche führen", sagte Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) nach Verkündung des Ergebnisses im ZDF. Allerdings werde da noch keine Entscheidung gefällt. "Man muss das jetzt alles erstmal sacken lassen und uns das reiflich überlegen", sagte Bach weiter. Von einer "enttäuschenden Niederlage" sprach Bach.

Auch Katarina Witt, die Olympiabotschafterin Münchens, war nach dem Zuschlag für Pyeongchang sichtlich enttäuscht. "Das ist im Moment alles noch schwer zu verstehen", sagte sie im ZDF. Der "Mitleidsfaktor" habe für die Südkoreaner eine entscheidende Rolle gespielt, weil Pyeongchang sich bereits zweimal beworben habe.

Es war eine Richtungswahl in Durban, die IOC-Mitglieder haben sich nicht unerwartet für die neuen Märkte in Asien entschieden - und gegen die Wintersporttradition Europas. "Diese Grundsatzentscheidung für neue Märkte in Asien fiel deutlich aus", sagte Bach. Es ist auch eine umstrittene Wahl, denn gegen einige Mitglieder der südkoreanischen Delegation ist schon wegen Korruption ermittelt worden. 

Es ist kurz vor neun Uhr morgens, als die 45-minütige Präsentation der Münchner aus Durban live auf den Marienplatz übertragen wird. Zu früh für viele Münchner, nur wenige bleiben bei traumhaftem Sommerwetter auf ihrem Weg zur Arbeit stehen. Kaum jemand ist wie Monika Oberndorfer gezielt zur Live-Übertragung auf den Marienplatz gekommen. Die 35 Jahre alte Münchnerin trägt ein T-Shirt der Winterspiele von Vancouver 2010, um ihre Schulter hat sie eine Olympische Flagge gebunden. Bei den Spielen in Kanada hat sie im Protokoll mitgearbeitet, nun hofft sie auf einen ähnlichen Job bei München 2018. Sie wird sich noch etwas anderes überlegen müssen.    

Auf der Bühne scheint Thomas Bach die Münchner Morgensonne ins Gesicht, doch der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes merkt es nicht, denn er steht in der abgedunkelten Kongresshalle in Durban und sagt auf Spanisch: „Es ist Zeit, unsere Fundamente zu stärken, die Bewerbung Münchens ist eine auf Sport gegründete Bewerbung.“ Bach betont, dass sich Deutschland nach drei vergeblichen Anläufen (Berchtesgaden 1992, Berlin 2000, Leipzig 2012) zum vierten Mal in den letzten Jahren um Olympische Spiele bewerbe. Damit kontert er ein gewichtiges Argument des größten Konkurrenten Pyeongchang, der in Durban  seinen dritten Anlauf unternimmt, die Spiele zu bekommen. Überzeugt hat er damit offenbar nicht. 

Lesen Sie auf Seite 2, wie in München mitgezittert wurde

Vor dem Münchner Rathaus steht ein Mann und hält ein Schild mit dem Namen eines weiteren gescheiterten Olympiabewerbers hoch: Salzburg. Doch er trauert nicht der österreichischen Bewerbung für die Winterspiele 2014 nach, vielmehr ist er ein Fremdenführer, der Touristen für einen Tagesausflug nach Österreich einsammelt. Zum Beispiel ein Paar aus Columbia, South Carolina, das zumindest in der Zeitung schon mal etwas über die Olympia-Entscheidung gelesen hat. Wer soll gewinnen? „Munich“, sagt der US-Amerikaner und blickt in den strahlend blauen Himmel, „it’s beautiful“. 

Im Moment jodelt München gerade. Willy Rehm aus Garmisch-Partenkirchen weckt in Durban eventuell unaufmerksame IOC-Delegierte mit einem langgezogenen Jauchzer. Schon beim Frühstück der deutschen Delegation hat der Gauehrensängerwart seine Kopfstimme trainiert, wie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich berichtet. Mit einem weiteren Jodler wird Willi Rehm den deutschen Vortrag später beenden. 

Plötzlich brandet erstmals auch auf dem Marienplatz Beifall auf. Oberbürgermeister Christian Ude steht in Durban auf der Bühne und hält jenen Holz-Schlegel in der Hand, mit dem er jährlich beim Oktoberfest das erste Fass anzapft. „Natürlich wäre es mir eine große Freude, für sie heute Abend bei einer großen Party anzuzapfen“, sagt Christian Ude. Er muss ihn unbenutzt wieder nach Hause mitnehmen. 

Tatsächlich appellierten die zwölf Münchner Bewerber auf dem Podium – darunter vier Frauen und ein Jodler - an die Emotionen der IOC-Mitglieder. Nicht nur der blinden zwölfmaligen Paralympics-Goldmedaillengewinnerin Verena Bentele gelang das gut, sondern vor allem auch Franz Beckenbauer. „Sie wissen möglicherweise, dass ich in meinem Leben im Sport viele Rollen gespielt habe, ja man nennt mich den Kaiser“, sagte er. Doch er bekennt, dass ihm in seiner langen, erfolgreichen Fußball-Karriere die Teilnahme an Olympischen Spielen verwehrt geblieben ist. „Deshalb bin ich sehr glücklich heute mit bei dieser Bewerbung antreten zu können“, sagt Franz Beckenbauer. Falls seine Geburtsstadt die Spiele bekomme, wolle er am liebsten als Langläufer dabei sein. „Wintersportkaiser“ nennen ihn anschließend die Moderatoren des Bayerischen Fernsehen. 

Für kaiserliche Befindlichkeiten hat Johann Müller aus Brisbane wenig Verständnis. Wintersport interessiert den Australier nicht, seine Reiseplanung hat ihn zufällig an diesem Entscheidungstag nach München geführt, über die Veranstaltung  auf dem Marienplatz möchten er und seine mit einer Seemannsmütze ausgestatteten Frau nur eines wissen: „Wird das Glockenspiel trotzdem stattfinden?“ 

Es findet statt, um Punkt zwölf Uhr drehen sich die Schäffler im Münchner Rathausturm. „Aber heid is koid“, lautet ihr Lied, aber heute ist es kalt. Es ist eine der wenigen Reminiszenzen an den Winter an diesem 27 Grad heißen Sommertag. 

Lesen Sie auf Seite 3 mehr über Pyeongchangs unausgesprochene Drohung

Für das Glockenspiel wird sogar für zehn Minuten die Live-Übertragung der südkoreanischen Präsentation unterbrochen. Dabei hätte man das besser zuvor bei Annecy gemacht, so lieb- und leidenschaftslos traten die Franzosen vor den IOC-Mitgliedern auf. Ganz anders die zwölf Vertreter Pyeongchangs. Angeführt vom Präsidenten Lee Myung-bak glänzen die südkoreanischen Vertreter auf dem Podium. Sie sprechen noch einmal von den 500 Millionen Dollar, die sie in ein olympisches Talentförderprogramm stecken. Prinz Albert von Monaco wird nachträglich zur Hochzeit gratuliert. Das südkoreanische IOC-Mitglied Park Yong-sung entschuldigt sich sogar bei dem monegassischen IOC-Mitglied: „Es tut mir leid, dass Sie nun schon zum dritten Mal eine Präsentation Pyeongchangs hören müssen.“ Es klingt  wie eine unausgesprochene Drohung, endlich sein Land mit den Winterspielen zu beauftragen – sonst müsse man sich noch ein viertes Mal bewerben. 

Zu diesem Zeitpunkt hat München schon einen kleinen Erfolg über Pyeongchang gefeiert. Sun-Mi Eichmüller hat vier koreanische Touristen entdeckt, die ratlos vor dem Stand mit Souvenirs der Münchner stehen. Die aus Korea stammende Mitarbeiterin der Münchner Bewerbung verspricht den vier schüchternen Jungs aus Incheon T-Shirts – wenn sie diese sofort überziehen. Kaum haben sie die Hemden über den Kopf gestülpt, dokumentiert ein deutsches Fernsehteam die Koreaner in den T-Shirts des Rivalen. Es sollte Münchens einziger Triumph an diesem Tag bleiben.

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