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Olympia in der Antike: Olympia liegt in Deutschland

Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau ist ein Beweis für eine produktive deutsch-griechische Zusammenarbeit.

Es ist endlich so weit: Wir sind stolz auf die Vollendung eines Projekts, das viele Jahre vorbereitet werden, viele Institutionen und Organisationen vernetzen und viele Leute mit wissenschaftlichem, symbolischem und materiellem Kapital überzeugen musste. Hinzu kommt, dass dieses urgriechische Projekt einen hohen ideellen Wert für die internationale Kooperation und Zusammenarbeit besitzt. Dass wir durch die gerade beendeten Olympischen Spiele Aufmerksamkeit für eine archäologische Ausstellung bekommen, nehmen wir gerne hin. Das seltsame dabei ist, dass die dramatische Krise, in der sich Griechenland befindet, ein Faktor für die zusätzliche, besondere Aufmerksamkeit dieser Ausstellung ist. Wir hätten gerne, dass die interessierten Blicke in ruhigeren Zeiten auf dieses Projekt fallen würden und nicht, weil die in aller Munde liegende Krise die Wahrnehmung für griechenlandbezogene Angelegenheiten geschärft hat.

Es ist das erste Mal seit 1972, dem Jahr der Olympischen Spiele in München, dass eine Ausstellung über Olympia als Kultort, Archäologiemittelpunkt und Geburtsstätte der Olympischen Spiele in einem solchen Umfang stattfindet. Zwischen Olympia und Deutschland besteht eine jahrelange, ja schicksalhafte Beziehung. „Mythos“ Olympia also nicht nur, weil der Ort auf der Peloponnes, in dem eines der sieben Weltwunder der antiken Welt – die Zeus-Statue des Phidias – zu Hause war, sondern auch, weil zwischen Olympia und Deutschland eine besondere Beziehung besteht, die als Projektionsfläche diverser Ideologien fungierte. Olympia ist nicht nur generell weltweit mythisch umwoben, sondern speziell in Deutschland mit konkreten ideologisch-politischen und kulturell-ästhetischen sinngebenden Vorstellungen geladen. Olympia wurde in Deutschland systematisch mythisiert; auch deswegen ist diese Ausstellung besonders wichtig.

Die ersten Ausgrabungen in dem unscheinbaren Ort im Nordwesten des Peloponnes unternahmen 1875-1881 deutsche Archäologen. Der Ort war bereits in der Vorgeschichte eine Pilgerstätte für die ganze Region und bis zum 8. Jahrhundert muss sein Ruhm weit über Griechenland gereicht haben, was Funde von Opfern und Gaben belegen. Das Jahr 776 v. Chr. war eine Zäsur nicht nur für den Ort Olympia, sondern auch für die gesamte antike Welt: Es fanden die ersten Olympischen Spiele statt. Ab diesem Punkt und bis 394 n. Chr., als Kaiser Theodosius I. sie als heidnisch verboten hatte, waren die Spiele in Olympia nicht nur identitätsstiftend für das kollektive Bewusstsein im antiken Griechenland, sondern markierten auch die Zeitmessung für die Griechen – so markiert die Bibel die Geburt Christi im 4. Jahr der 194. Olympiade. Nach dem Verbot der Spiele verkamen die Heiligtümer und die Sportstätte und das Areal wurde allmählich aus geologischen Gründen teilweise zerstört, teilweise zugeschüttet.

Die erste große Ausgrabung organisierten die Deutschen 1875

Zwar unternahm 1829 eine französische Expedition die ersten Versuche, den Ort auszugraben. Doch die erste große archäologische Ausgrabung begann 1875 durch deutsche Archäologen. Es war die Zeit der ausgehenden Romantik und der Höhepunkt des Nationalismus bzw. der deutsch-französischen Erzrivalität war bereits erreicht. Die Ausgrabungen in Olympia dienten dieser Rivalität, indem beispielsweise beim einhundertsten Jubiläum der Berliner Kunstakademie 1886 die Front des Zeustempels von Olympia konstruiert wurde – neben der Schau zu Ägyptenexpedition und der Pergamon-Funde –, als Botschaft dafür, dass das Deutsche Reich im Bereich der spektakulären Forschungs- und Grabungsprojekte Frankreich überlegen war. Das ist vergleichbar mit dem Konkurrenzkampf zwischen den USA und der UdSSR im Bereich der Weltraumforschung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Es ging aber um mehr als eine Rivalität im Bereich der Großprojekte im kolonialen Stil. Neben Wagners Rezeption der nordischen Mythen fungierte damals Griechenland immer noch im Winckelmannschen Modus der puren, weißen Schönheit als Projektionsfläche des aufstrebenden jungen deutschen Nationalismus. Der Erzfeind Frankreich hatte das sprachlich verwandte und räumlich und kulturell nahe Römische Reich schon in seine Ahnengalerie erhoben, das junge Deutsche Reich wendet sich nun zum antiken Griechenland hin und entdeckt darin Originalität statt Imitat, Demokratie statt Despotismus und pure, schlichte Schönheit statt Prunk. Und wenn die angeblich weißen Statuen und Säulen des antiken Griechenland die Ästhetik in Deutschland tief prägten, trug Olympia zusätzlich etwas sehr wesentliches bei: Seit der „deutschen Turnkunst“ von Friedrich Ludwig „Turnvater“ Jahn, der eine athletische Jugend als idealen Gegner der französischen Besatzer und sichere Zukunft für Deutschland gesehen hatte, entwickeln sich die Leibesübungen, freilich mit paramilitärischen Konnotationen, die ja auch im antiken Griechenland Bestandteil der Kämpfe waren, zu einer Form tragender Ideologie in Deutschland.

So kommt der altgriechischen Sportstätte schlechthin eine doppelte Bedeutung zu, die des aufgeklärten Griechenlands von Goethe und Winckelmann und die der Ursprünge der sportlichen Disziplin, eng verknüpft mit militärischem Geist und einem besonderen Verständnis von Gesundheit und Hygiene, beides sehr willkommen in jener Zeit.

1972 wurden in München nur Kopien der Kunstwerke gezeigt

Dass diese Projektion ihren ideologischen Gipfel in den Berliner Olympischen Spielen 1936 auf eine historisch tragische Weise fand, muss erwähnt werden. Antikisierende Zitate des Berliner Olympiastadions demonstrierten steinernes Heldentum, strenge Macht und starre Schlichtheit für das Dritte Reich. Die Berufung des antiken Geistes für diesen militärischen Gestus der Berliner Spiele gelang für die NSDAP-Inspiratoren durch Olympia: Zum ersten Mal in der Geschichte der Olympischen Spiele wurde das Olympische Feuer direkt in der Sonne Olympias in einem in Deutschland hergestellten Brennspiegel angezündet und von dort durch den ersten Fackellauf nach Berlin transportiert; der noch heute geltende performative Akt einer beginnenden Olympiade hat ja eine wenig schmeichelnde Vorgeschichte.

1972 wurden in München die Olympischen Spiele erneut abgehalten, diesmal als Pendant zu den Berliner Spielen eine Generation davor: Leichtigkeit, Transparenz und verspielte Oktoberzelt-Ästhetik demonstrierten nun ein modernes, weltoffenes und aufgeklärtes Deutschland. Anlässlich dieser Olympischen Spiele wurde eine archäologische Ausstellung mit dem Titel „100 Jahre deutsche Ausgrabungen in Olympia“ im Deutschen Museum München organisiert. Sämtliche Exponate jener Ausstellung waren Kopien und Abgüsse und wollten den Stand der Dinge um 1970 zeigen. Entsprechend fiel auch das Ausmaß der Münchner Ausstellung aus, die wesentlich bescheidener war als die jetzige Schau in Berlin.

Die Berliner Ausstellung „Mythos Olympia – Kult und Spiele“ hat als Ziel, die aktuellen historischen Kenntnisse über das antike Olympia sowie über den Sport, der mit den Olympischen Spielen verbunden war, darzustellen. Als Erklärung klingt sie fürs Erste nicht besonders einzigartig. Dennoch: die Münchner Ausstellung, die letzte große zu Olympia, liegt 40 Jahre zurück. In dieser Zeit hat sich vieles geändert, sowohl in der archäologischen Praxis und dem Stand der Dinge in Olympia, als auch in der Wahrnehmung und Rezeption der europäischen Archäologie, den Olympischen Spielen und, nicht zuletzt, in der Wahrnehmung Griechenlands, speziell in Deutschland.

Neue Methoden mithilfe der technologischen Entwicklung, aber auch von Bereichen, die erst seit einigen Jahren in der Archäologie angewendet werden – wie die Geometrie oder die Geologie sowie Maßnahmen der Denkmalpflege und der Präsentation der Ruinen, aber auch die Umgestaltung des Grabungsfelds von Olympia zu einem archäologischen Park – kennzeichnen diese Ausstellung; für das moderne Bild von Olympia spielt der Wiederaufbau des antiken Stadions und seines gewölbten Eingangs eine entscheidende Rolle.

Viele Funde werden überhaupt zum ersten Mal gezeigt

Aktuelle Forschungen werden durch die Erweiterungen der Fragestellungen und die neuen, vor allem natur- und geowissenschaftlichen Methoden der heutigen Arbeit mit ihrem Erkenntnisgewinn präsentiert. Viele sehr wichtige neu ausgegrabene Funde, die unsere Kenntnisse über die Geschichte und die Bedeutung von Olympia von der prähistorischen Zeit bis zu der Spätantike wesentlich ergänzt haben, sind nun ein Teil dieser Ausstellung.

Doch nicht nur der Stand der Funde bzw. Ergebnisse aus den Ausgrabungen von Olympia sowie die archäologischen Methoden haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte deutlich bis stark verändert. Griechenland selbst ist ein anderes Land geworden, sowohl in der Wahrnehmung von außen, als auch in seiner Selbstdarstellung.

Die antike Kulisse sowie das Bild eines politisch unterdrückten Landes, das gegen die Traumata eines Bürgerkriegs – immerhin des ersten Aktes des Kalten Krieges – und gegen die rechte Militärdiktatur kämpfte sowie die Inszenierung einer traumhaften Natur und eines lebensfrohen Stils, passend für die touristischen Sehnsüchte weltweit, ist längst nicht aktuell oder zumindest unzureichend; das Bild des maroden Landes mit den faulen Bürgern inakzeptabel.

Mit solchen Stereotypen soll diese Ausstellung aufräumen. Zwar geht es hier auch um das antike Griechenland, aber für die Olympia-Ausstellung sind Funde unter anderem aus den Archäologischen Museen in Olympia und Athen, den Antikensammlungen von München und Berlin, aus dem Louvre sowie von den Vatikanischen Museen zusammen gekommen. Von diesen 850 Exponaten sind 450, die zum ersten Mal oder in extrem seltenen Fällen aus ihrem Haus verliehen werden, 200, die nicht bloß in Deutschland, sondern überhaupt zum ersten Mal zu sehen sind.

Hinzu kommen einige der renommiertesten Wissenschaftler sowie Sponsoren aus aller Welt für dieses Projekt zusammen, das hauptsächlich moderne Aspekte der Olympia-Rezeption sowie die neuesten Entwicklungen der Archäologie demonstriert.

Es wäre also nur ungerecht, die Olympia-Ausstellung als eine erneute, antikisierende Darstellung Griechenlands zu betrachten. Es geht um ein dynamisches, modernes Projekt, dessen Breite an Kooperationen und wissenschaftlicher Mitarbeit einen modernen, europäischen Charakter verleiht.

Der Autor ist seit 1996 Direktor der Griechischen Kulturstiftung in Berlin

Eleftherios Ikonomou

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