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Erwachsen geworden. Markus Steuerwald übernimmt mit 23 Jahren im Nationalteam nun eine Führungsrolle.

© picture alliance / Eibner-Presse

Olympia-Serie "Letzte Chance" (2): Markus Steuerwald und die Spiele, die es niemals gab

Markus Steuerwald galt als großes Talent im deutschen Volleyball. Trotzdem durfte er 2008 nicht mit zu den Olympischen Spielen nach Peking. Jetzt will er alles nachholen.

Nur alle vier Jahren finden Olympische Spiele statt, und beim Versuch, sich dafür zu qualifizieren oder als Favorit eine Medaille zu gewinnen, kann einiges dazwischenkommen. Wir stellen in unserer Serie Athleten vor, für die London die letzte olympische Chance ist – entweder, um überhaupt einmal bei den Spielen dabei zu sein oder um endlich den erhofften Erfolg zu feiern. Heute: Volleyballer Markus Steuerwald.

Zwei Sekunden lang sah Markus Steuerwald aus, als wollte er losflattern. Er hatte die Arme ausgebreitet und bewegte sie wie ein Riesenvogel, der schwerfällig abheben möchte. Aber beim Volleyball-Libero Steuerwald bedeutet die Geste bloß: Ruhig Jungs, nicht nervös machen lassen !

Man konnte Steuerwald im Internet zusehen, das Länderspiel der Volleyball-Nationalmannschaft gegen Italien wurde online übertragen. Steuerwald spielte gut, er beruhigte, er pushte aber auch, die Deutschen verloren beim ersten Olympia-Qualifikationsturnier in Bulgarien trotzdem 0:3. Gestern trafen die Deutschen im Halbfinale auf den Gastgeber und erreichten durch einen 3:1-Sieg das Finale – wo es wieder gegen Italien geht. Nur der Turniersieger ist qualifiziert, andere Teams müssen durch eine zweite Qualifikationsrunde in Berlin.

Die Deutschen orientierten sich ohnehin nach Berlin, mit dem Turniersieg in Sofia rechnet niemand wirklich. Und für Berlin wird Bundestrainer Vital Heynen den Kader neu zusammenstellen. Steuerwald weiß also noch nicht, ob er dabei ist. Andererseits, er hat bisher viel gespielt in Bulgarien, die Gesten sind auch ein Zeichen, dass er Führungsaufgaben übernimmt. Er ist jetzt 23, er weiß jetzt, wann er reden muss und wann er besser ruhig bleibt. „Früher habe ich drauflos geplappert“, sagt er. Ausgerechnet er, der Jüngling, wollte andere belehren. „Ich musste lernen, dass es nicht immer der optimale Weg ist“, sagt er jetzt. Gelernt hat er das auch in Paris; dort spielt er seit 2010.

Es spricht also einiges dafür, dass er in London dabei ist, sollten sich die Deutschen für Olympia qualifizieren. Aber mit solchen Sätzen muss man Markus Steuerwald erst gar nicht kommen. „Du musst jeden Tag Gas geben, sonst bist du schnell im Hintertreffen“, sagt er.

Will ihm zu diesem Punkt irgendjemand etwas erzählen? Ausgerechnet ihm? Ausgerechnet Markus Steuerwald, der 2008 lernen musste, was das heißt, wenn man sich schon im Olympiakader sieht?

2008 erlebte der Jungstar einen steilen Aufstieg - und danach den freien Fall

2008 spielte Steuerwald noch beim VfB Friedrichshafen. Der Trainer dort hieß Stelian Moculescu, der damalige Bundestrainer auch. Steuerwald war der sensationelle Aufsteiger. 2007 spielte er noch in der Zweiten Liga, dann rückte er für einen Verletzten in den VfB-Kader nach, vier Monate später feierte er mit seinem Klub den Sieg in der Champions League. Experten wählten ihn zum besten Libero der Finalrunde. Einen 18-Jährigen.

2008 qualifizierte sich die Nationalmannschaft für die Olympischen Spiele. Das hatte sie auch Steuerwald zu verdanken, der spielte souverän in der Qualifikation. Der Jungstar setzte seinen steilen Aufstieg fort, so war das.

So war das, bis Moculescu ein paar Sätze zu dem jetzt 19-Jährigen sagte. Danach war der steile Aufstieg jäh beendet. „Du bist nicht dabei in Peking“, das war Moculescus Kernsatz. Vielleicht sagte er noch mehr, Steuerwald weiß es heute gar nicht mehr. „Da hörst du ja nach dem ersten Satz gar nicht mehr hin, da willst du nur noch weg.“ Vielleicht warf der Bundestrainer ihm ja noch die dürftige Erklärung hin, die er für die Öffentlichkeit hatte. „Der kleine Steuerwald war bei der Qualifikation eine große Stütze. Letztlich aber spielt Tom etwas stabiler und präziser.“

Tom ist Thomas Kröger, und der Name war die nächste Ohrfeige für Steuerwald. Denn Kröger war sein Vereinskollege beim VfB Friedrichshafen, und er hatte weder in der abgelaufenen Saison noch in der Olympia-Qualifikation eine Minute gespielt. Er war verletzt im Winter 2008 verpflichtet worden, seither hatte ihn Moculescu quasi aufgepäppelt. Aber er war 28, er war erfahrener als Steuerwald. Steuerwald war nicht sauer auf Kröger, der konnte ja nichts dafür. Es war die Situation; es war dieses Gefühl, als wäre er mit vollem Tempo gegen eine Betonwand gerannt. Im Fernsehen verfolgte er nicht eine Sekunde der deutschen Spiele, er konnte es einfach nicht. Er registrierte nur die Ergebnisse. Die Deutschen überstanden die Vorrunde nicht, zur Kenntnis genommen. Emotionen löste es nicht aus.

Zwei Jahre, sagt Steuerwald, „hat mir diese Geschichte nachgehangen“. In Friedrichshafen lief es nicht mehr, 2010 wechselte er nach Paris. Dort wuchs er in eine Führungsrolle, er überträgt jetzt seine Erfahrung auf die Nationalmannschaft. Und eigentlich will er über die alte Geschichte gar nicht mehr groß reden. „Es bringt mir nichts, wenn ich negative Gedanken habe. Ich muss nach vorne blicken.“

Das gilt auch für sein Verhältnis zu Moculescu. Manchmal sehen sie sich, wenn Steuerwald Kumpels in Friedrichshafen besucht. „Wir tauschen uns dann aus“, sagt Steuerwald. Plaudereien ohne Tiefgang. Aber vielleicht bietet sich bald ein spannendes Thema an; dann, wenn der große Wunsch des Markus Steuerwald in Erfüllung gegangen ist. Dann könnte der Libero erzählen, was er so erlebt hatte, damals, bei Olympia in London.

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