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Ballsicher. Andy Murray beim Training in Rio.

© AFP/Schmidtu

Olympia: Tennis: Andy Murray: Groß-britische Hoffnung

Der Schotte Andy Murray spielt in Rio für das gesamte Königreich. Das bedeutet viel, in der Zeit nach dem Brexit.

Von Christian Hönicke

Um das Vereinigte Königreich stand es auch schon einmal besser. Nach dem Brexit-Votum ist das einst stolze Reich instabiler denn je, die neue Premierministerin Theresa May kämpft mit aller Macht gegen den Zerfall Großbritanniens. Und nun soll es ausgerechnet ein Schotte retten? Die britischen Hoffnungen bei den Olympischen Spielen jedenfalls konzentrieren sich auch auf Andy Murray, obwohl bei den Briten rund 20 Goldmedaillen erwartet werden. Der 29-Jährige wurde sogar zum Fahnenträger des Teams Großbritannien bei der Eröffnungsfeier im Maracana-Stadion ernannt. Diese Wahl war sportlich in jedem Fall gerechtfertigt, schließlich ist er der Olympiasieger von 2012. Aber es war auch ein kleines politisches Statement.

Wohl keinem Sportler des Inselreichs kommt eine ähnlich integrative Wirkung zu wie Andy Murray. Er ist nicht nur ein Weltstar, er ist vor allem ein gesamtbritischer Star. Dreimal hat er inzwischen im englischen Tennistempel Wimbledon gesiegt, einmal davon bei den vergangenen Olympischen Spielen in London, das letzte Mal vor wenigen Wochen. Vielen Engländern wäre es anfangs sicher lieber gewesen, ein wahrer Landsmann hätte das jahrzehntelange Warten auf einen einheimischen Triumphator auf dem heiligen Rasen beendet. Doch mit spröder Beharrlichkeit hat sich der Schotte Murray inzwischen seinen Platz im britischen Kulturerbe erkämpft.

Das gelang ihm auch deshalb, weil sich Murray als pragmatischer Patriot gibt, der die Brücke zwischen beiden Welten zu schlagen versucht. In der Vergangenheit posierte er bereitwillig mit dem Union Jack, etwa nach dem Triumph im Davis Cup. Um Verstimmungen in der Heimat zu vermeiden, gibt er hin und wieder aber auch den aufmüpfigen Schotten aus dem 9000-Einwohner-Städtchen Dunblane. Im Fußball schlage sein Herz für Schottland und immer für den Gegner Englands, hat er mal gesagt. Vor dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum 2014 hatte er sich zwar mit Wahlempfehlungen weitestgehend zurückgehalten, aber zumindest angekündigt, im Falle des Falles dann eben für Schottland zu spielen.

Vor den Spielen in Rio nun schlüpft Murray nun wieder in die Rolle des Schotten im Britenrock. „Ich trete für Großbritannien an, seit ich zehn Jahre alt bin“, sagt er. „Ich liebe das Gefühl, für mein Land zu kämpfen. Ich werde mein Bestes geben, um mein Land wieder stolz zu machen.“

Die Einzelkonkurrenz ist insgesamt deutlich schwächer als vor vier Jahren

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Zwar redet Murray seinen Erstrundengegner Viktor Troicki aus Serbien stark, doch die Einzelkonkurrenz ist insgesamt deutlich schwächer als vor vier Jahren. Viele Spieler aus den Top 20 haben sich entschuldigen lassen, mit mehr oder weniger plausiblen Begründungen, darunter Roger Federer und Stanislas Wawrinka. Für Murray kam eine Absage nie infrage, trotz des dichten Terminkalenders mit den French Open, Wimbledon, Olympia und den US Open in kurzer Folge. Er verzichtete zur besseren Vorbereitung auf Rio sogar auf Turnierstarts und Weltranglistenpunkte, obwohl er dem Weltranglistenersten Novak Djokovic schon ziemlich nahe gerückt ist. „Aber Olympia ist für mich das größte Sportevent überhaupt“, sagt er. „Ich bin gern bereit, dafür ein paar Weltranglistenpunkte zu opfern.“

Murrays emotionale Bindung an die Olympischen Spiele ist wohl auch deshalb größer als bei manchen Kollegen, weil sie Schauplatz seines Durchbruchs waren. 2012 hatte er einen Monat zuvor noch das Finale des regulären Wimbledon-Turniers gegen Federer verloren. Bei Olympia bewies er an derselben Stelle gegen denselben Gegner nicht nur den Zweiflern, sondern auch sich selbst, dass er ein Champion ist. „Das war vermutlich der größte Sieg meiner Karriere“, sagt Murray.

Nach Rio lockte ihn neben der Wiederholung seines Triumphs im Einzel aber eine vielleicht noch süßere Aussicht: die auf Gold im Doppel mit seinem älteren Bruder Jamie. In London vor vier Jahren schieden beide vorzeitig aus, diesmal gehören sie zu den Favoriten. Jamie Murray lag noch vor Kurzem auf Rang eins der Doppel-Weltrangliste. Der Doppelspezialist darf deswegen auch die Ansagen machen, wenn die beiden Murrays gemeinsam zuschlagen. Auch das Ziel formuliert er klar. „Wir sind hier, um eine Medaille zu gewinnen“, sagt er mit deutlich breiterem schottischen Akzent als sein Bruder. „Eine Medaille ist schon etwas ganz Besonderes“, sagt Andy Murray. „Aber das mit meinem Bruder zu schaffen, das würde mir eine Menge bedeuten.“ Denn ob nun Schotte oder Brite – an erster Stelle kommt auch für Andy Murray die Familie. Christian Hönicke

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