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Mit neuen Substanzen könnten Sportler bei den Olympischen Spielen die Dopingkontrollen unterlaufen.

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Olympia und Doping: Wenn bei Athleten plötzlich Muskelberge wachsen

Neue Substanzen können nicht nur bei Tieren dafür sorgen, dass sich die Muskeln explosionsartig vergrößern. Auch Olympiastarter stehen im Verdacht, damit manipuliert zu haben. Und niemand wird sie erwischen.

Wie wäre es damit, die Vorher-Nachher-Show bei Olympia einzuführen? Die Kamera zeigt den Sportler am Start, die Regie daneben ein älteres Bild von ihm. Einige Athleten werden nicht wiederzuerkennen sein. Weil ihre Muskeln vom Mittelgebirge zum Hochgebirge gewachsen sind. Gut möglich, dass jemand von ihnen mit einer besonderen Substanz nachgeholfen hat: einem Myostatin-Blocker. Der ist nämlich nicht nachweisbar, und Patrick Diel vom Zentrum für präventive Dopingforschung in Köln sagt: „Damit kann man in London nach Herzenslust dopen. Und das Zeug wirkt richtig gut.“

Das Internationale Olympische Komitee hat auch für diese Spiele wieder einen neuen Rekord an Dopingkontrollen angekündigt. 6250 Tests lässt es durchführen. Wer sich von dieser Zahl nicht abschrecken lässt, dem hat John Fahey, der Vorsitzende der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) noch zugerufen: „Wenn du ein gedopter Athlet bist, zieh’ dich aus deiner Olympiamannschaft zurück. Auch wenn ein gedopter Athlet eine Medaille gewinnt, wird er nie wieder in den Spiegel schauen und sagen können: Gut gemacht, ich habe den Erfolg verdient.“

Es ist nicht schwer vorherzusagen, dass weder dieser moralische Appell noch die Rekordzahl an Dopingtests allzu viel bewirken werden. „Das Kontrollprogramm als Wunderwaffe darzustellen, ist ein Hohn für alle, die sich damit auskennen“, sagt Biochemiker Diel. Denn es gibt nach wie vor genügend Substanzen und Methoden, die von den Laboren nicht identifiziert werden können. Der Myostatin-Blocker gehört dazu.

Myostatin soll im Körper das Wachstum von Muskeln hemmen. Doch es lässt sich ausschalten. „Ich habe gehört, dass diese Myostatin-Inhibitoren schon im Umlauf sind. Es wurden auch Namen von prominenten Sportlern genannt“, sagt Diel. Für den Nachweis dieses Dopingmittels gibt es derzeit kein zugelassenes Testverfahren. Die Pharmafirma, die damit ein Medikament gegen Diabetes entwickelt hat, rückt ihre Daten nicht heraus, auch die Wada habe es hier schon erfolglos probiert, sagt Diel. In der Tierzucht sind diese Myostatin-Inhibitoren schon eingesetzt worden. Und dokumentiert ist die Wirksamkeit schon auf Bildern von Muskelmäusen, Muskelkühen und Muskelhunden.

Doping: Szenen eines Problems

Auch eine andere Substanz kann von Athleten in London hemmungslos eingesetzt werden: Ecdysteron, ein Hormon, das bei Insekten unter anderem den Häutungsprozess regelt. Bei Menschen fördert es das Muskelwachstum. „Es wirkt anabol, und zwar nicht zu knapp“, sagt Diel, „trotzdem steht es noch nicht auf der Dopingliste, sondern ist als Nahrungsergänzungsmittel leicht zu bestellen.“

Jede Woche ein neues Designersteroid aus China

Mit neuen Substanzen könnten Sportler bei den Olympischen Spielen die Dopingkontrollen unterlaufen.
Mit neuen Substanzen könnten Sportler bei den Olympischen Spielen die Dopingkontrollen unterlaufen.

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Diel hat sich viel mit Gendoping befasst und ist dazu auch schon als Sachverständiger im Deutschen Bundestag aufgetreten. Doch er sagt: „Warum sollte ich mir über einen Virus ein Epo-Gen spritzen, wenn ich auch noch mit klassischen Mitteln dopen kann?“ Der dopende Athlet frage sich dreierlei: Was bekomme ich am leichtesten, was wirkt am besten und was ist am wenigsten nachweisbar? Die Antwort auf alle drei Fragen seien nach wie vor Steroide zum Muskelwachstum und Erythropoetin zur Steigerung der Ausdauer. „Der Nachweis dieser klassischen Substanzen ist alles andere als perfekt“, sagt Diel. „Jede Woche kommt ein neues Designersteroid aus China.“

Das Patent für Erythropoetin ist abgelaufen, daher gibt es inzwischen jede Menge Kopien. „Da braucht man schon ein bisschen Glück, um die richtige zu finden“, sagt Diel. Dem entgegnet Mario Thevis vom Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule in Köln: „Mir ist noch keines untergekommen, das wir nicht genau hätten differenzieren können.Es mag solche Produkte geben, aber gesehen habe ich noch keins.“ Thevis wird während der Spiele im Londoner Labor arbeiten, das die Proben der Olympiaathleten analysiert. Mehr als 80-Epo-Nachahmerprodukte seien nachweisbar, sagt Thevis und ist auch sonst weit zuversichtlicher als Diel: „Man kann davon ausgehen, dass dopingwillige Sportler sehr vorsichtig geworden sind, weil sie wissen, dass wir mehr nachweisen können.“

Ein Beispiel dafür ist der ungarische Diskuswerfer Robert Fazekas. Schon 2004 war er aufgefallen. Er hatte bei Olympia in Athen den Diskus am weitesten geworfen, anschließend aber seine Urinprobe manipuliert und die Goldmedaille wieder abgeben müssen. Jetzt ist er erneut erwischt worden, mit dem Anabolikum Stanozolol. Am Wochenende wurde bekannt, dass auch die Gewinnerin des Hamburg-Marathons, die Kenianerin Rael Kiyara, aufgeflogen ist.

Gerade Kenia ist jedoch nach wie vor ein Problem. „Wir testen die kenianischen Athleten meist, wenn sie im Ausland sind“, sagt ein Sprecher des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF) und bestätigt, dass es nach wie vor keine Blutkontrollen im Ausdauerlaufland Nummer eins gibt: „Das ist nahezu unmöglich.“ Eine Blutkontrolle muss bei einer bestimmten Temperatur transportiert und innerhalb von 36 Stunden wieder geöffnet werden.

In London sollen dafür 200 Proben von Leichtathleten für den sogenannten Blutpass genommen werden. Mit dem Blutpass kann Athleten Manipulation auch ohne positiven Dopingtest über ein Langzeitprofil nachgewiesen werden. Im Mai hatte die IAAF erstmals einen Fall mit dem Blutpass abgeschlossen und einen portugiesischen Langstreckenläufer aus dem Verkehr gezogen. Es könnten bald noch weitere Fälle kommen, auch von Athleten aus der ersten Reihe.

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