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Wenn der deutsche Achter in Rio eine Medaille holen will, muss jede Bewegung sitzen.

© dpa

Olympische Ruderwettkämpfe: Der Achter will Erster werden

Der deutsche Achter könnte an diesem Samstag das dritte Gold im Rudern holen. Damit jeder Schlag sitzt, ist ein eingespieltes Team unerlässlich.

Von Christian Hönicke

Der Deutschlandachter ist kein festes Gebilde, sondern ein sich stetig wandelnder Organismus. Das „System“, so nennt es Eric Johannesen, einer der acht Ruderer. Drin bleibt nur, wer seine eigenen Ambitionen denen des ganzen Bootes unterordnet, wer seinen Kopf der gemeinsamen Idee verpflichtet, für den gemeinschaftlichen Erfolg. „Hier kann nicht jeder fahren, wie er will“, sagt der Hamburger. „Wir müssen das Gleiche denken, die gleiche Vorstellung vom Schlag haben.“ Acht Männer an den Riemen, vier steuerbord, vier backbord, und nur wenn alle perfekt im gleichen Rhythmus denken und schlagen, kann es klappen. Nur wenn es keinen Fehler im System Deutschlandachter gibt, dann kann er in der Lagoa Rodrigo de Freitas an diesem Samstag (16.06 Uhr) zum fünften Mal olympisches Gold holen.

Der Herr über dieses System ist Ralf Holtmeyer. Der Bundestrainer trifft die Auslese aus den besten Ruderern, er puzzelt das Boot zusammen, nimmt immer wieder einen heraus und setzt einen anderen hinein, bis er seiner Meinung nach die beste Mischung gefunden hat. Mehrmals im Jahr lässt er die Leistung der Ruderer mithilfe komplizierter Technik vermessen, Schlagfrequenz, Schlagweite, Kraft und Leistung. So kann jeder Sportler einzeln und auch das Zusammenspiel genau analysiert werden.

Doch Holtmeyer ist auch deshalb eine lebende Legende in Ruderkreisen, weil er ungeachtet aller technischen Daten ein Gespür dafür hat, welche Ruderer am besten zusammenpassen. „Die Charakterfrage ist neben der Leistungsfähigkeit mitentscheidend“, sagt der 60-Jährige. Er kann noch genau die Schwingungen im Boot erfühlen, das er 1988 in Seoul zum Olympiagold geführt hat. Nach dem Debakel 2008 in Peking, als das Boot ohne ihn auf den letzten Platz kam, holte ihn der Deutsche Ruder-Verband (DRV) zurück. Holtmeyer brachte das Flaggschiff wieder auf Kurs, fünf Jahre blieb es unbesiegt und holte 2012 in London wieder Gold.

Steuermann Sauer ist die große Konstante im Boot

Vier Olympiasieger von London sind auch diesmal dabei, darunter Johannesen, dazu der Steuermann Martin Sauer. Er ist die größte Konstante im Boot und hat schon viele Umbesetzungen an den Riemen miterlebt. Sauer ist mit 1,70 Metern einen ganzen Kopf kleiner als die Ruderhünen, dennoch gibt er den Ton an und steuert die Schlagfrequenz je nach Rennsituation. Seine Anweisungen per Mikrofon werden über eine Lautsprecheranlage an den Rest des Bootes ausgegeben.

Auch auf der Steuermannposition drängt der Nachwuchs ins Boot, doch Holtmeyer hat dem erfahrenen Sauer für Rio noch einmal den Vorzug gegeben. Ansonsten vertraut der Trainer einer Mischung aus Erfahrung und jugendlichem Ehrgeiz. „Es ist klar, dass die Olympiasieger von London mit ihrer größeren Erfahrung sich manchmal mehr einbringen“, sagt Holtmeyer. „Aber die Hierarchien, die einzelnen Rollen im Boot entwickeln sich von selbst. Jeder Achter hat einen anderen Charakter, je nachdem, wer drinsitzt.“

Holtmeyer spricht von seinen Ruderern wie ein Großvater von seinen Enkeln. Lukas Müller etwa, der auch 2012 Olympiasieger wurde, „der war ein ruhiger Arbeiter, der fast nie etwas gesagt hat. Jetzt ist Felix Drahotta dabei, sehr explosiv und temperamentvoll, eher der spritzige Wettkampftyp, der dafür im Training seine Schwankungen hat.“

Die Ruderer brauchen Vertrauen

Große Schwankungen können sich die Ruderer nicht erlauben. Ihr Leben ist hart, die meisten sind Studenten, die sich für den Platz im Achter bis zur Selbstaufgabe quälen. Sie trainieren mehrmals täglich, auch an Feiertagen, in Trainingslagern gibt es maximal einen Nachmittag frei, Urlaub nur nach dem Saisonhöhepunkt. Filip Adamski, inzwischen nicht mehr dabei, hat sein Leben vor den Spielen von London mal mit „drei Jahren Gefängnis“ verglichen. „Als Gefängnis würde ich es nicht bezeichnen, aber natürlich gehört auch Verzicht dazu“, sagt Eric Johannesen. „Man lebt in diesem System im absoluten Maximum. Da werden viele Dinge hintenangestellt.“

Hinzu kommt die ständige Furcht, trotz aller Entbehrungen doch von einem der anderen Anwärter aus dem Boot gedrängt zu werden. „Klar, Umbesetzungen sind nicht schön, aber damit muss man professionell umgehen“, sagt der 28 Jahre alte Johannesen. „Für uns ist das ein zusätzlicher Ansporn, ständig alles zu geben, um nicht aus dem Boot zu fliegen. Das ist ein Grund, warum Ralf so ein großer Verfechter dieses Leistungsprinzips ist.“

Doch Ralf Holtmeyer ist keiner, der seine Leute bei der kleinsten Schwäche wild aus dem Boot schmeißt. „Zu große Wechsel sind nicht gut“, sagt der Bundestrainer. Gerade in den beiden Jahren vor Olympia setzt er auf ein konstantes Team, damit sich die Besatzung aufeinander einspielen kann. Es gab im letzten Jahr nur einen Wechsel, wie auch vor den Spielen in London. „Das schafft Vertrauen und Sicherheit, wenn man den anderen einschätzen kann, seine Stärken und Schwächen.“

Es geht um den perfekten Schlag

Dieses Vertrauen brauchen die acht Ruderer und ihr Steuermann, um auch im Grenzbereich so synchron wie möglich ihre Schläge auszuführen. Schon ein kleiner Aussetzer, eine Ungenauigkeit, kann die Arbeit von vier Jahren zunichtemachen. Deswegen trainieren auch die Ersatzleute regelmäßig mit, damit sie mit dem System synchronisiert sind, wenn sie etwa wegen einer Krankheit kurzfristig einspringen müssen. „Wir rudern mehrere tausend Kilometer im Jahr zusammen, um selbst bei der absoluten Maximalbelastung als Mannschaft perfekt zu harmonieren“, sagt Johannesen.

Nun geht das System Achter auf seine finalen zwei Kilometer. „Klar, das Ziel ist Gold“, sagt der Ruderer. Aber auch die Niederlande sind stark, ebenso wie Weltmeister Großbritannien. „Vor London waren wir vier Jahre in Folge ungeschlagen, das hat uns Stabilität gegeben“, sagt Ralf Holtmeyer. „Aus dieser Leaderposition kommen wir jetzt nicht, wir sind eher Mitfavorit.“

Dennoch ist er zuversichtlich, dass es nach den beiden Doppelvierern das dritte Gold für den DRV in Rio geben könnte. Den letzten Weltcup in Posen hat der Achter gewonnen und auch im olympischen Vorlauf überzeugt. Seine Männer werden auch heute ihre Rituale abhalten wie immer, kurz vor dem Wettkampf noch einmal aufs Wasser gehen, um sich aufeinander einzuspielen, und dann die Renntaktik besprechen. Und wer weiß, vielleicht erlebt der Achter am Samstag den perfekten Schlag.

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