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Peking

© Voigt

Ortstermin: Auch in Peking fiel das Bild aus

Tief in der Nacht, Peking, 2.40 Uhr. In der Vergnügungsstraße Gongti Xilu treffen sich die deutschen Fans, um das EM-Halbfinale zu gucken. Tagesspiegel-Redakteur Benedikt Voigt war dabei.

2.40 Uhr, Ortszeit Peking. Es ist ruhig geworden vor den Bars und Diskotheken der Pekinger Vergnügungsstraße Gongti Xilu. Ruhig? Nicht vor dem Restaurant „The Pavillion“. Ein Taxi nach dem anderen hält an und lädt Fußballfans in originalen und gefälschten Deutschland-Trikots ab. Aus dem Biergarten tönt ihnen „Deutsch-land, Deutsch-land“ entgegen, doch am Eingang bekommen sie ein Problem. „Wir können niemanden mehr reinlassen“, sagt die chinesische Geschäftsführerin, „es sind schon 600 Leute drinnen, wir können nicht für die Sicherheit garantieren“. Sie wirkt verzweifelt, mit einem derartigen Ansturm hat sie nicht gerechnet. Die wartenden Fans sind nicht minder unglücklich. In der deutschen Gemeinde Pekings hat sich herumgesprochen, dass bei der EM im „Pavillion“ die beste Stimmung herrscht. Und tatsächlich: Vor dem Anpfiff stehen viele Jugendliche auf und beweisen, dass auch in der deutschen Schule Pekings das Singen der Nationalhymne auf dem Lehrplan steht.

03.08 Uhr. Zwei Fans jubeln. Eine deutsch aussehende Frau schreit nach Ugurs Führungstreffer demonstrativ und hysterisch: „Türkiye, Türkiye!“ Ein Türke freut sich mit ihr, allerdings cooler. Vor Anpfiff hat er für einen Moment sein türkisches Trikot hochgezogen. Darunter kam ein deutsches zum Vorschein. Er wird es gebrauchen können.

03.45 Uhr. Die Nacht hellt auf, doch die Fans im Biergarten haben keinen Blick dafür. Anpfiff, zweite Halbzeit.

04.15 Uhr.
Bildausfall. Der englische Sender „Sky“ bietet statt EM-Halbfinale eine vierköpfige Diskussionsrunde, darunter Muhsin Ertugral, Trainer der „Kaizer Chiefs“. Die Fans nehmen das unerwünschte Alternativprogramm erstaunlich gelassen. Einige Pfiffe, einige Buhrufe, dann „Deutsch-land, Deutsch-land“. Rechts telefoniert einer mit der Heimat und schreit: „2:1 für Deutschland!“ Seine Freunde jubeln, alle anderen sind skeptisch. „Mal abwarten, vielleicht ein Scherzbold“, sagt einer. Ein anderer ruft: „2:1, Miroslav Klose.“ Nur langsam siegt Glauben über Unglauben. Mehr und mehr bejubeln ein Tor, das niemand gesehen hat. Wenige hören den jungen Mann, der am Zaun steht, ein Handy am Ohr hält und ruft: „Ausgleich, 2:2!“ Endlich ist das Bild wieder da. Tatsächlich, 2:2.

04.30 Uhr. Der Geschäftsmann in der hinteren Reihe spricht in sein Handy: „Ich fliege um acht Uhr, aber bei einer Verlängerung nehme ich das nächste Flugzeug.“ Er muss nicht umbuchen. Lahm schießt, die Fans fallen sich in die Arme. Ein Tor, und das auch noch live auf der Videowand! Sie müssen dankbar sein, denn anschließend fällt das Bild sofort wieder aus. Schlusspfiff? Nein? Wie lange noch? „Aus, Aus“, ruft einer in der vorderen Reihe. Stimmt’s? Keiner weiß es. Endlich wieder ein Bild: Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger jubeln. Tatsächlich, Aus.

04:45 Uhr. Eine chinesische Müllsammlerin lenkt ihr dreirädriges Gefährt die Gongti Xilu hinab. Auf der Höhe des Restaurants „Pavillion“ blickt sie nach rechts. Sie wundert sich über einige Gestalten in weißen Trikots, die langsam auf die Straße wanken. Müde, glücklich. Die Müllsammlerin fährt weiter. Es ist hell.

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