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Otmar Hitzfeld, 67, coachte bis 2014 die Schweiz.

© imago/Xinhua

Ottmar Hitzfeld im Interview: „Der Fußball wird mich nie loslassen“

Beinahe die Hälfte der EM-Trainer ist älter als 60 Jahre. Ottmar Hitzfeld über den Vorteil der Altersmilde und den früher noch viel rauheren Ton beim Trainieren.

Herr Hitzfeld, wie war’s beim Golfspielen?

Super, aber die Sonne stand in der Früh schon recht hoch, bei der Hitze haben wir mittags aufgehört. Für gewöhnlich spiele ich länger, ich bin gern draußen auf dem Grün. Warum auch nicht, ich habe ja Zeit (lacht).

Verspüren Sie während der EM keine Lust, wieder als Trainer zu arbeiten und eine Mannschaft zu übernehmen?

Ich verfolge alles sehr interessiert, schaue viele Spiele. Der Fußball wird mich nie loslassen, aber noch mal als Trainer arbeiten? Ich denke nicht. Ich habe mich vor zwei Jahren für das Karriereende entschieden und dabei will ich es auch belassen.

Viele Ihrer früheren Kollegen sehen das anders. Bei der EM sind elf der 24 Trainer älter als 60 Jahre, im Gegensatz zur Bundesliga, wo immer stärker auf junge Trainer gesetzt wird. Woran liegt der hohe Altersdurchschnitt der EM-Trainer Ihrer Ansicht nach?
Nationaltrainer sind im Schnitt immer älter. Für den Job bei einer Auswahl muss man sich qualifizieren, man braucht schon ein paar Leistungsnachweise. Referenzen, die man sich durch Erfolge mit seinen Klubs erarbeitet hat. Ehe man die zusammenhat, vergehen etliche Jahre.

Hatten Sie das Gefühl, dass das für die Spieler auch von Bedeutung ist? Dass da als Nationaltrainer einer stehen muss, der etwas vorzuweisen hat?
Ja, das ist so. Das lässt sich auch nicht wegdiskutieren – bei Nationalmannschaften noch stärker als bei Klubteams. Als Auswahltrainer hast du mit den Besten des Landes zu tun, die haben meist einen ausgeprägten Charakter und eigene Ideen. Da hilft es schon, wenn du den Spielern sagen kannst: „Wir machen das jetzt so und so, weil ich damit schon mal Erfolg hatte.“

Junge Trainer mit einem klaren Konzept hätten es als Nationaltrainer schwerer?
Am Ende muss alles stimmen. Natürlich brauchst du auch ein Konzept, mit dem sich die Spieler identifizieren können. Erfahrung allein reicht nicht. Aber sie hilft ungemein. Gerade während so langer Turniere wie einer Europameisterschaft oder Weltmeisterschaft, wo viele Probleme entstehen können.

Trainer und Mannschaft sind inklusive Vorbereitung zwischen vier und acht Wochen ununterbrochen zusammen. Welches sind die gefährlichsten Probleme, die während dieses Zeitraums auftreten?
Unzufriedenheit, ganz klar. Wie gesagt, Nationalspieler sind keine gewöhnlichen Spieler, sondern die Besten und es aus ihren Klubs gewohnt, der Star zu sein und immer zu spielen. Wenn sie dann auf einmal auf der Bank sitzen, wird die Laune bei einigen immer schlechter.

Das ist dann gefährlich. Wenn die Stimmung im Team einmal kippt, hast du als Trainer kaum noch eine Chance. Deshalb muss man sich schon bei der Nominierung intensiv Gedanken machen, wen man mitnimmt. Dass müssen nicht immer die Besten sein.

Viele Menschen halten genau das für den Grundgedanken einer Nationalmannschaft. Die Besten sollen spielen.
So einfach ist das nicht. Natürlich sollen die besten elf auf den Platz, aber dahinter ist Fingerspitzengefühl gefragt. Was nützt es, wenn ich für eine Position drei Ausnahmekönner nominiere und die zwei, die nicht spielen, machen Ärger, weil sie unzufrieden sind? Das kann sich kein Trainer erlauben.

Die hinteren Plätze im Kader sollten also in erster Linie mit Spielern besetzt sein, die für gute Laune sorgen?
Fußball können in einer Nationalmannschaft alle spielen, wir bewegen uns ja auf höchstem Niveau. Nehmen Sie die deutsche Mannschaft. Ich finde, Joachim Löw hat sie hervorragend zusammengestellt. Da sind junge Talente wie Leroy Sané, Julian Weigl oder Joshua Kimmich. Für die ist es schon großartig, überhaupt dabei zu sein. Die stellen keine Ansprüche, haben aber einen sportlichen Wert. Streit werden die sicher nicht verursachen.

Fällt es erfahrenen Trainern leichter, Konflikte im Turnierverlauf zu moderieren?

Man wird im Alter gelassener und wenn es einem gelingt, diese Gelassenheit auf die Gruppe zu übertragen, macht das vieles einfacher. Das Wichtigste ist Kommunikation. Am besten, man sagt den Spielern schon vor dem Turnier, wie in etwa ihre Einsatzchancen sind, um Enttäuschungen vorzubeugen. Ich habe immer die Meinung vertreten, ein guter Trainer sollte mit seinen Spielern reden, erst recht mit denen, die auf der Bank sitzen. Denn die können ein Turnier genau so entscheiden wie die, die auf dem Platz stehen.

Haben Sie eine gewisse Zeit gebraucht, um das zu erkennen?
Ich habe Kommunikation immer für wichtig gehalten, aber mit den Jahren fällt es einem immer leichter, den richtigen Ton zu treffen. Es macht wenig Sinn, mit allen Spielern auf die gleiche Art zu sprechen. Dafür sind die Typen zu unterschiedlich. Die Führungskultur ist heute zum Beispiel viel lockerer als vor zwanzig oder dreißig Jahren.

Was meinen Sie im Detail?
Früher waren die meisten Trainer autoritär. Der Ton war rauer, es herrschte eine Basta-Mentalität. Dinge wurden halt so gemacht, weil es der Trainer sagte, und fertig. Damit kommt man heute nicht mehr weit. Der Fußball ist da nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Die Führungskultur in Unternehmen ist ja heute auch lockerer, es wird sich geduzt. Mitarbeiter wie Spieler wollen Erklärungen. Autorität ist nach wie vor wichtig, aber auf einem natürlichen Weg. Dafür muss man nicht laut sein. Bei meiner ersten Station in der Schweiz haben mich meine Spieler noch geduzt. Als ich später in die Bundesliga ging, habe ich mehr Distanz aufgebaut und mich siezen lassen.

Kann das auf höchstem Niveau überhaupt funktionieren: „Du, Trainer …“?
Solange man dabei authentisch ist, schon. Aber das muss zum jeweiligen Trainer passen. Spieler merken sofort, wenn sich einer verstellt.

Sie wurden sehr früh Trainer, schon im Alter von 34 Jahren. Hätten Sie sich damals schon zugetraut, eine Nationalmannschaft zu übernehmen?
Als junger Trainer traut man sich vieles zu, nur ob die Dinge im Einzelnen so gut für einen wären, ist eine andere Sache. Eine einzige falsche Entscheidung kann eine ganze Karriere in falsche Bahnen lenken. Dieses Amt ist eher etwas für den fortgeschrittenen Zeitpunkt der Karriere.

Weil der Stressfaktor nicht mehr so hoch ist und man als Nationaltrainer weniger arbeiten muss?
Ich habe einmal gesagt, Nationaltrainer ist die Vorstufe zum Rentnerdasein. Aber das war nicht ganz ernst gemeint. Natürlich stimmt es, dass die tägliche Arbeit im Klub kräftezehrender ist. Aber als Nationaltrainer stehst du mindestens genauso unter Druck, das ganze Land schaut auf dich, nicht nur eine Stadt. Und wenn du verlierst, musst du manchmal sechs Wochen damit leben, ehe du die Chance bekommst, es wiedergutzumachen. Als Klubtrainer bietet sich spätestens nach einer Woche eine neue Gelegenheit. Damit umzugehen, fällt einem erfahrenen Trainer meistens leichter.

Spaniens Nationaltrainer Vicente Del Bosque, der nur unwesentlich jünger ist als Sie, hatte während dieser EM schon einige interne Konflikte zu bewältigen, tat das aber mit größter Gelassenheit. Verlieren die Dinge mit der Zeit tatsächlich an Gewicht?
Man hat zumindest alles schon einmal erlebt. Skandale, Streitigkeiten, der Umgang mit der Presse – alles relativiert sich. Abgeklärtheit hilft in diesem Job ungemein. Solange es nicht in Gleichgültigkeit umschlägt, ist man als Nationaltrainer bestens geeignet.

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