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Sport: Otto, der immer Größere

Wie Griechenlands Trainer Rehhagel den Einzug ins Viertelfinale feiert

Als Otto Rehhagel den portugiesischen Ordner erreicht, der für ihn seit zehn Minuten den Stadionaufzug freihält, vergewissert er sich, ob es wirklich nur eine Treppe hoch bis zum Raum ist, wo er von der internationalen Presse erwartet wird. „So alt bin ich auch noch nicht“, sagt Rehhagel und lässt den leeren Fahrstuhl zurück. Er hat schon den maroden griechischen Fußball nach oben geführt, mit seiner Hände Arbeit. Da werde er doch vor sieben Stufen nicht resignieren.

Geschafft sieht er aus und müde. Aber Helden haben kein Alter. Deswegen versucht der Essener seine 65 Jahre immer ein bisschen zu kaschieren. An der Seitenlinie hüpft er wie ein Troll, er gestikuliert wild mit beiden Armen, pfeift auf dem eingeknickten kleinen Finger seiner rechten Hand und nuckelt während Spielunterbrechungen an einer gelben Wasserflasche. In Rehhagel lebt der Trainer von einst, und so lange das so ist, so lange wird er den an Erfolgen, Mythen und Legenden armen griechischen Fußball nach vorne treiben.

Trotz der 1:2-Niederlage im Stadion Algarve gegen Russland hat sich das Land erstmals in der 44-jährigen EM-Geschichte für ein Viertelfinale qualifiziert. „Heute war der höchste Preis für den griechischen Fußball zu gewinnen“, sagt Rehhagel und schließt dabei seine Augen, wie er es schon immer gemacht hat, wenn er bedeutungsvoll klingen will: „Das Spiel haben wir zwar verloren, aber den Preis gewonnen.“

Es ist ein Ein-Akt-Theaterstück, wie er es schon zu seiner besten Zeit als Trainer vom SV Werder Bremen liebte. Seine Augen sind leicht gerötet von all der Aufregung ringsum. Man kann den Eindruck gewinnen, dass sich dieser Mann nach Ruhe sehnt. Oder ist es Anerkennung? Dreimal Deutscher Meister mit Bremen und Kaiserslautern ist er geworden, 1992 sogar Europacupsieger der Pokalsieger mit Bremen, trotzdem schien seine Trainerkarriere ohne gebührende Würdigung zu Ende gegangen zu sein.

„Wenn ich die absolute Kontrolle habe, haben wir Erfolg“, hatte der gebürtige Essener nach dem 2:1-Sieg über das Gastgeberland Portugal gesagt. Das sagt einiges über sein Selbstwertgefühl aus. Rehhagel ist der Herrscher geblieben, der er 14 Jahre in Bremen war. Er selbst beschreibt sich in der Stunde seines vielleicht größten Erfolgs „als demokratischer Diktator“. Knapp drei Jahre arbeitet er als Trainer Griechenlands. „Damals hatte die Mannschaft keinen Wert in Griechenland. Ich musste etwas ändern, aber nur ich“, erzählt Rehhagel.

Die Russen spielten wie entfesselt und führten nach 17 Minuten schon 2:0. Rehhagels Spieler wirkten wie gelähmt. Kurz vor der Halbzeit erzielte Zisses Vryzas den Anschlusstreffer. Die Russen aber, die nach zwei Niederlagen längst ausgeschieden waren, dominierten weiterhin das Spiel. Drei Minuten vor dem Ende rutschten Dmitri Kirischenko und Rolan Gusew an einer parallel zur Torlinie laufenden, scharf hereingegebenen Flanke vorbei. Bei einem 1:3 wären die Spanier weitergekommen und nicht Rehhagels Griechen. „Heute gibt es nur Freude, keine Kritik“, sagt Rehhagel. Egal, wie jetzt der Gegner im Viertelfinale heißt, „jede Mannschaft ist angenehm für uns, denn wir haben schon jetzt gewonnen".

Schön spielten die Griechen nicht. Aber das mit deutscher Disziplin und Ordnung. „Wir spielen den Fußball, mit dem wir Erfolg haben“, sagt Kapitän Theodoros Zagorakis. Niemand könne den Griechen den Vorwurf machen, dass sie auf Verteidigung und Konter setzten, dass die Mannschaft mit „Leidenschaft und Hingabe spielt“, wie Rehhagel sagt. „Das Schöne an dieser Mannschaft ist, dass sie immer an sich glaubt und etwas probiert.“ Mittelfeldspieler Vasilios Tsiartes erzählt, woher sie die Kraft dafür nehmen: „Der Trainer hat uns den Glauben gegeben. Heute vertrauen wir uns. Er hat uns die Augen geöffnet.“

Nach seiner Rückkehr nach Griechenland werde Rehhagel ein längeres Gespräch mit dem Präsidenten suchen. „Er wird mir ein paar Wünsche erfüllen müssen“, sagt Rehhagel. Es gäbe viel zu tun im griechischen Fußball. „Vielleicht kann er Geld locker machen für die vielen jugendlichen Fußballer an der Peripherie.“ Rehhagel selbst kann sich ein längeres Engagement in Griechenland nicht vorstellen. „Ich spiele noch die Qualifikation für die WM 2006, dann ist Schluss.“

Langsam hat Otto Rehhagel genug von den Fragen. Er sieht schon nicht mal mehr hin, aus welcher Ecke des Raumes die Frage gestellt wird. Die Übersetzungen vom Deutschen ins Griechische, und vom Griechischen ins Englische langweilen ihn. Plötzlich geht ein Ruck durch seinen Körper. Und Rehhagel verkündet mit lauter, aufgeweckter Stimme: „Eines muss ich noch loswerden: Früher haben die deutschen Journalisten immer gesagt, dass ich nur in Bremen arbeiten kann. Meine Herren, ich kann überall arbeiten!“

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