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Der Ansager. Otto Rehhageln mit Herthas Spielern.

© Reuters

Otto Rehhagel: Der vitale Guru bei Hertha BSC

Beim Spiel am Samstag in Augsburg wird sich zeigen, wohin Otto Rehhagels Mission mit Hertha BSC führt. Wird dem neuen Trainer die Rettung gelingen? Und wenn ja: wie?

Berlin - Otto Rehhagel betritt den rappelvollen Medienraum von Hertha BSC und sagt noch im Gehen: „Tag, meine Herren!“ Dass unter den Anwesenden eine gute Handvoll Journalistinnen ist, ignoriert Rehhagel. Es wird nicht das Letzte bleiben. Vielleicht ist es auch keine Ignoranz, sondern der Tatsache geschuldet, dass es für den 73-Jährigen nur die eine Frau gibt, seine Beate. Die kennt die halbe deutsche und wohl auch halbe griechische Nation, weil seit Menschengedenken kein Auftritt Rehhagels ohne Erwähnung ihrer Person auskommt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass zu Zeiten, als Rehhagel noch Meisterschaften gewann, das Fußballgeschäft eine reine Männerwelt war. Seit einer Woche ist diese Welt um einen besonderen Mann reicher und älter geworden.

Otto Rehhagel ist zurück.

Heute Nachmittag in Augsburg, beim Duell der beiden Aufsteiger, wird der Altmeister nach elf Jahren und 148 Tagen wieder als Bundesligatrainer auf der Trainerbank Platz nehmen, beinahe 40 Jahre nach seinem Debüt.

Es ließe sich über diese Rückholaktion einiges sagen und noch viel mehr denken. Eine fahrig wirkende Führungscrew eines taumelnden Klubs sah sich nach chaotischen Trainerwechseln und einem Vierteljahr ohne Bundesligasieg genötigt, jemanden zu reaktivieren, der längst im Ruhestand war. Das Problem ist daher weniger Rehhagel, sondern dass sich ein Verein in eine Lage manövriert hat, die fast zwangläufig nach Rehhagel schrie. Es geht auch anders. Vor einem Jahr befand sich Borussia Mönchengladbach in einer hoffnungsloseren Situation. Der Klub stand abgeschlagen am Tabellenende und holte Lucien Favre und stürmt jetzt der Champions League entgegen. So weit war Hertha vor drei Jahren auch einmal – unter Favre. Der in Berlin bei der ersten Krise vom Hof gejagt wurde.

"Ich soll hier nicht die Medien trainieren". Hertha Trainer Otto Rehagel bei einer Pressekonferenz.
"Ich soll hier nicht die Medien trainieren". Hertha Trainer Otto Rehagel bei einer Pressekonferenz.

© REU

Hertha soll nun von Otto Rehhagel in der Liga gehalten werden. Auch er hat zwölf Spiele zur Verfügung wie Favre damals in Gladbach. Doch Rehhagels Ausgangsposition ist komfortabler. Sein Vorvorvorgänger Markus Babbel hat 20 Punkte hinterlassen. Wird es Rehhagel gelingen? Und wenn ja: wie?

Im September 2000 hat sich Rehhagel aus dem Tagesgeschäft Bundesliga ins Hinterland der Akropolis verabschiedet. Als Nationaltrainer wurde er mit Griechenland Europameister, nicht schön, aber effektiv. In Berlin bemüht sich Rehhagel um den Eindruck eines vitalen Gurus, der permanent auf seine „unglaubliche Erfahrung“ verweist. Fast wirkt er ein bisschen überdreht, wie er so vor der Presse sitzt. Die Arbeit seiner Gegenüber schätzt er nicht besonders und will es auch nicht verbergen. „Ihr könnt schreiben, was ihr wollt. Und ich kann sagen, was ich will“, sagt Rehhagel. Auch die vielen Fans, die in den vergangenen Tagen bei Wind und Wetter vorbeischauten beim Trainingsplatz, straft er mit Nichtachtung. Mehr als ein „Guten Morgen“ ist für sie von Rehhagel nicht zu bekommen. Er bahnt sich seinen Weg durch sie hindurch und entschwindet mit Ordnern an seiner Seite. Ein Trainer zum Anfassen wird Rehhagel auch im achten Lebensjahrzehnt nicht mehr.

Als Michael Preetz, 44, auf eine an ihn gerichtete Frage antworten will, fährt Rehhagel ihm über den Mund. „Michael braucht die Frage nicht zu beantworten. Belaste dich nicht damit“, sagt Rehhagel. Preetz, der neben ihm wie ein Bubi sitzt, sagt fortan nichts mehr und lacht dafür in die Runde. Man könnte sagen: Nur Hertha lacht über Rehhagels Ulkerei. Was lässt ein Verein nicht alles mit sich anstellen von einem, den er in hoher Not als Retter holte? Die Mission Klassenerhalt drückt vieles in den Hintergrund. Auch das Benehmen? Ist es das, was die in ihrem Selbstvertrauen zerrüttete Mannschaft braucht?

Zumindest Trainer Rehhagel hat Vertrauen in die verunsicherte Mannschaft.

Otto Rehhagel inszeniert seine Eigenwilligkeit und ja, auch seine Selbstgewissheit. Er gefällt sich. „Ich soll hier nicht die Medien trainieren“, ist so ein Satz, den Rehhagel oft wiederholt in seinen ersten Berliner Tagen.

Auf die Frage, wie die jungen Spieler ihm begegneten, antwortet Rehhagel: „Vor mir braucht keiner Angst zu haben. Ich bin mit Fußball auf die Welt gekommen.“ Und wenn man eine solche Vita hätte wie er, dann sei es doch klar, dass man ihm entsprechend begegnete. „Ich habe alles gewonnen. Ich habe nichts zu verlieren – bis auf meine Beate.“ Es sind Sätze wie diese, die auf eine Eitelkeit deuten, die im Bundesligazirkus nur noch selten anzutreffen ist.

Bei Hertha lassen sie ihn gewähren. Sie haben es so gewollt. Rehhagel zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Der in die Kritik geratenen Preetz kann sich ducken. Nur wie lange? Im Sommer muss wieder ein Trainer her. Und die Mannschaft? Gewinnt sie an Zutrauen und findet sie zurück in die Spur?

Als die Nachricht vom Comeback vor einer Woche die Runde machte, sagte Willi Lemke, ein langjähriger Weggefährte Rehhagels in Bremen, wie er sich für ihn freue. „Ich weiß nur nicht, ob das, was vor zehn, zwanzig Jahren gegolten hat, heute noch gelten kann. Denn das Geschäft hat sich dramatisch verändert.“ Nun hofft Werders Aufsichtsratschef, dass der Otto „nicht irgendwann die Kündigung von Hertha bekommt, weil es nicht funktioniert“.

Über Inhalte seines Wirkens, über Taktik etwa, „wird nicht gesprochen“, wie Rehhagel sagt. In seinen öffentlichen Trainingseinheiten war wenig Programmatisches zu entdecken. Fürs Erste ist Rehhagels Wirken darauf gerichtet, das Team mental aufzurichten. Doch wie lange trägt sein Wirken im Übersinnlichen? Wann geht es um Inhalte? Im Bremen der achtziger Jahre hatte er Erfolg mit seiner Art. Auch kurz in Kaiserslautern und in Griechenland. In einer Medienstadt wie München schon nicht mehr.

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