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Wladimir Petrowitsch Lukin ist seit 1996 der Vorsitzende der Paralympischen Bewegung in Russland und erster Präsident des Russischen Paralympischen Komitees. Der 75-jährige ist russischer Politiker und Kommissar für Menschenrechte. Ihn befragte Alexander Kauschanski.

© Privat

Paralympics 2014 in Sotschi: "Die Weltgemeinschaft hat hohe Erwartungen an Russland"

Wladimir Petrowitsch Lukin, Vorsitzender der Paralympischen Bewegung in Russland, spricht im Interview über die kommenden Winterspiele in Sotschi und mögliche Veränderungen in der russischen Gesellschaft.

Wie schätzen Sie die Leistung des russischen Teams bei den diesjährigen Paralympics in London ein?

Wir entwickeln uns weiter. Die russischen Sportler nehmen an mehr Sportarten teil, als je zuvor. Wir haben auch eine größere Mannschaft von 180 Athleten. Daher machen wir Schritte nach vorne. Das sind keine gigantischen Schritte. Ich glaube es ist dafür besser viele kleine hintereinander zu machen. Im Laufe der Jahre hat sich die russische Mannschaft kontinuierlich verbessert. Nun wollen wir noch einen Schritt nach vorne machen. Wir stehen mit den stärksten Mannschaften der Welt in einer Reihe - darunter auch Deutschland. Wir sind langsam zu einem Teil der Sportelite geworden und damit sind wir zufrieden.

Die russischen Sportler waren dieses Jahr besonders stark und im Medaillenspiegel weit oben. Woher nehmen die Athleten die Stärke, solch hervorragende Ergebnisse zu erzielen?

Wir arbeiten sehr hart. Ich muss dazu sagen, dass auch mehr Menschen mit Behinderung in Russland Sport treiben. Damit haben wir eine ganze Reihe von Regionen in Russland in Bewegung gesetzt. Die Paralympics gibt es nicht nur um ihrer selbst willen. Sie sind vielmehr ein Mittel, Menschen unserer Gesellschaft Mut zu machen. Die Leute sollen wieder aufstehen um sich zu bewegen, Sport zu treiben, ein aktives Leben zu führen. Wir bemühen uns darum, in verschiedenen Teilen Russlands neue Zentren zu öffnen, die den Behindertensport fördern. Und wir sehen: diese Entwicklung bringt nach und nach erfreuliche Resultate.

Wie bereiten Sie sich auf die Winterspiele 2014 in Sotschi vor?

Wir treffen bereits in diesem Moment viele Vorbereitungen. Das findet im Rahmen eines einzigen großen Komitees statt, das für die Olympischen und Paralympischen Spiele verantwortlich ist. Daneben bereitet sich das Russische Paralympische Komitee hauptsächlich auf die Paralympics vor. Es ist wichtig, die nötige Infrastruktur in Russland zu schaffen. Wir bereiten außerdem die russische Mannschaft schon auf die Spiele vor. Bei den Winterspielen werden wir wieder unser Bestes geben und versuchen, gegen die deutsche Mannschaft anzukommen.

Welche Erwartungen stellt die Weltgemeinschaft an Sotschi 2014?

Ich denke, dass die Weltgemeinschaft ernste Erwartungen gegenüber Russland hat. Erstens ist Sotschi eine ungewöhnliche Region für die Winterspiele. Als der Kurort als Austragsort bekannt gegeben wurde, war das für viele zunächst ein großer Schock. Mit Sotschi assoziieren die Menschen schon immer Wärme und sommerliche Temperaturen. In dieser Hinsicht werden die Spiele eine interessante Herausforderung werden. Zudem möchten wir den Bereich in Sotschi komplett zugänglich machen. Menschen mit Behinderungen sollen sich dort auch über die Spiele hinaus frei bewegen können. Ich hoffe, dass Sotschi damit eine Pionierregion wird und dadurch auch andere Teile unseres Landes und unserer Welt zu barrierefreien Orten werden.

Nehmen Sie aus London 2012 etwas nach Sotschi 2014 mit?

Das ist schwierig. Skier brauchen die Athleten in London nicht. Sporthosen und Trikots brauchen die Sportler in Sotschi nicht. Was wir also aus London mitnehmen, sind wertvolle Erfahrungen. Das sind Erfahrungen, die Spiele zu veranstalten. Die machen wir bei unseren britischen Freunden, unseren chinesischen Freunden und all denen, die in der Vergangenheit die Paralympics organisiert haben.

Wie schätzen Sie die Präsenz der russischen Presse bei den Paralympics ein?

Wir haben uns lange und aktiv dafür eingesetzt, dass russische Medien - insbesondere das Internet und Fernsehen -  ihre Aufmerksamkeit den Paralympics widmen. Früher gab es das in dieser Form überhaupt nicht. Unsere Erfolge, insbesondere bei den Winterspielen, haben bewirkt, dass die Gesellschaft und die Regierung ein tieferes Bewusstsein für die Spiele entwickelt haben. Die Hauptkanäle unseres Landes - das sind die Sender, die sich mehr oder weniger alle anschauen - zeigen immer mehr von den Paralympics. Das ist ein großer Schritt nach vorne. Nicht weniger als zehn Prozent der russischen Bevölkerung lebt mit einer Behinderung. Es ist daher wichtig, dass diese Menschen fühlen können, dass sie eine Perspektive im Leben haben. Deshalb bin ich unserer Presse sehr dankbar, dass sie sich für die Paralympics geöffnet hat und deutlich mehr davon zeigt.

Sir Phillip Craven - der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees - hat gesagt, dass die Paralympics in Sotschi "die russische Gesellschaft für immer verändern werden." Was hat er damit gemeint?

Ich denke, dass Craven damit meinte, dass sich alles nicht zum Schlechteren, sondern zum Besseren ändern wird. Er meinte damit auch, dass es in Russland früher eine konservative Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderungen gab. Leider sind die Menschen mit den Handicaps sehr unterschiedlich umgegangen. In vielen Fällen schämten sich die Betroffenen dafür. In anderen Fällen hatten Kinder mit Handicap Schwierigkeiten in die Schule zu gehen, weil die Eltern anderer Kinder vom Handicap befremdet und unangenehm berührt waren. In Wirklichkeit musste sich die russische Gesellschaft an das normale Menschsein gewöhnen. Also glaube ich, dass Craven damit meinte, dass diese Form von Konservatismus und das nicht ausreichende Verständnis für die Gleichheit aller Menschen durch die Paralympics überwunden werden kann. Und wenn er das damit meinte, dann stimme ich ihm zu.

 

Welche Botschaft möchten Sie als Präsident des Russischen Paralympischen Komitees hinausschicken und an wen soll sie sich richten?

Ich würde gerne eine Botschaft an alle hinausschicken, die die Paralympics veranstalten. Meine Freunde, ihr setzt euch für eine gute Sache ein. Es ist nicht wichtig, wer bei den Spielen gewinnt, wie weit jemand wirft, wie schnell jemand läuft. Solche Dinge vergisst man schnell. Wichtig ist, dass ihr euch für eine wichtige Sache engagiert. Man wird allerdings nie vergessen, dass Sie einen zugänglichen und tolerantern Platz für Menschen mit Behinderungen schaffen. Deshalb bestelle ich Ihnen schöne Grüße und richte meinen aufrichtigen Dank an Sie.

Die Fragen stellte Alexander Kauschanski, 18, Schülerredakteur der Paralympics-Zeitung.

Alexander Kauschanski

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