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Große Sprünge. Markus Rehm ist eines der Gesichter der Leichtathletik. Foto: dpa/ Nietfeld

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Paralympics: Die Spiele des Markus Rehm

Der deutsche Weitspringer nutzte die Bühne Paralympics in Rio, um sich zu positionieren – 2017 will er bei der Leichtathletik-WM der Nichtbehinderten in London starten.

Das Olympiastadion von Rio ist gut gefüllt, im Verhältnis gesehen. Im Oberrang bedecken Sponsorenbanner die leeren Sitzplätze, im vollen Unterrang drängeln sich die Zuschauer im Bereich der Weitsprunggrube. Der paralympische Freitagabend ist der Abend des Markus Rehm. Wann immer der Deutsche zum Sprung anläuft, tobt die Tribüne, die Brasilianer wollen die Sensation. Der an einem Unterschenkel amputierte Deutsche kämpft nicht gegen die hoffnungslos unterlegene Konkurrenz in seiner Startklasse, er kämpft um den Olympiasieg – ein paar Wochen nachdem Jeff Henderson in Rio mit 8,38 Metern zu Gold sprang.

Die Siegerweite des US-Amerikaners hat Rehm drauf. 8,40 Meter lautet seine Bestleistung, 2015 aufgestellt. Freitag startet er aber mau. 7,13 Meter. Aber es wird besser, von Versuch zu Versuch. Im fünften Versuch hat er die Acht-Meter-Marke geknackt. Versuch sechs. Voll drauf. Rehm trifft mit seiner Karbon-Prothese das Brett perfekt und segelt zu 8,21 Meter. Gold, na klar, bei den Paralympics. Aber wichtiger für Rehm: Platz fünf bei Olympia 2016 wäre das gewesen. Nach zwei Stunden Wettbewerb sagt er grinsend: „Natürlich habe ich die Weiten von Olympia im Kopf gehabt. Mir war wichtig, zu zeigen, dass sich paralympische Athleten nicht hinter olympischen Athleten verstecken müssen. Es war schön, im letzten Sprung noch einen rauszuhauen.“

Markus Rehm und sein ständiger Kampf um – Anerkennung? 2014 wurde er Deutscher Meister im Weitsprung. Danach ergaben Messungen, dass er Nachteile beim Anlauf hat mit der Prothese am rechten Knie, aber Vorteile beim Absprung. Den Titel von 2014 hat er noch, starten darf er nicht mehr bei den Nichtbehinderten. Seine Trainerin Steffi Nerius findet es in Ordnung, hat die einstige Speerwerferin gesagt. Aber sie fände es gut, wenn Rehm außer Konkurrenz neben den Nichtbehinderten starten dürfte. „Es wäre gut für ihn, gefordert zu werden.“

Ende des Jahres sollte entschieden sein, ob es mit dem WM-Start klappt

Rehm ist mit dem Leichtathletik-Weltverband IAAF in Kontakt, ja sogar Mitglied einer „Arbeitsgruppe“. Er will, dass paralympische und olympische Athleten bei denselben Veranstaltungen, aber in getrennten Wettbewerben starten. „Damit die paralympischen Athleten zeigen könnten, was sie draufhaben.“ Und die olympischen Athleten dumm aussehen, wenn sie weniger weit springen als Rehm? „Blödsinn“, sagt er und widerspricht sich. Er sagt, dass er vielleicht nächstes Jahr in der „direkten Konkurrenz starten“ möchte. In London bei der WM. „Dann kann man ja die Weiten vergleichen.“ Ende des Jahres sollte entschieden sein, ob das so klappt.

Schon bei den Olympischen Spielen von Rio wollte Rehm starten, er sah sich durch Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie im Recht. Die IAAF sträubte sich – aber für London im August 2017 stehen die Chancen womöglich besser. Rehm übt mit seiner Präsenz ja zarten Druck auf allen Ebenen aus. Rehm gehört wie einst Oscar Pistorius eben nicht mehr nur den Paralympics, er ist ein Star der gesamten Leichtathletik.

Kurz bevor Rehm am Freitagabend als letzter Athlet nach der Siegerehrung den Innenraum des Olympiastadions verlässt, fährt Leo Pekka Tahti im Stadionkeller mit seinem Rollstuhl an den Fernsehkameras vorbei. Niemand regt sich. Schüchtern grüßt der Finne in die Runde. Nichts. Er fährt von dannen, der paralympische Sieger im 100-Meter-Sprint, sitzend, Klasse T54. Die Menschen warten eben auf den Rehm.

Ein Interview nach dem anderen gibt der schließlich, die gleichen Antworten, das gleiche Lächeln. Beim Rummel um Rehm macht Rehm, 28 Jahre, mit. Er hat das verdient, mit Leistungen wie in Rio. „Das Ziel bei diesen Paralmypics war es, zu zeigen, dass wir uns nicht verstecken müssen“, sagt er. Das hat im Falle Rehm geklappt: Die Paralympischen Spiele sind seit Sonntag vorbei, für Markus Rehm, so wirkt es, geht das ganz große Spiel erst richtig los.

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