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Christiane Reppe.

© Thilo Rückeis

Paralympics-Schwimmerin im Interview: „Ich hatte mit meinem Körper etwas Glück“

Zum Start der Paralympics: Christiane Reppe über Schwimmen mit einem Bein, Komplimente von Jungs und Behinderte in Anführungszeichen.

Frau Reppe, wo haben Sie Ihren Rollstuhl gelassen?

Den brauche ich nicht. Meist bin ich auf Krücken unterwegs. Ich habe auch eine Prothese, im Sommer kann ich damit aber nicht gut laufen, weil mir das zu warm wird. Ich habe ja nicht mal einen Stumpf an meinem fehlenden Bein, deshalb liegt die Prothese um mein Becken herum. Da sitzt man den ganzen Tag in Silikon, wie bei den Lackkostümchen.

Bitte?

Na, wenn man den ganzen Tag in Latex rumläuft, schwitzt man darin auch. Das kann sehr unangenehm sein.

Fühlen Sie sich im Rollstuhl unwohl?

Ach, ich sitze auch ganz gerne im Rollstuhl. Meinen Aktiv-Rolli muss man nur mit der Hand anschieben, dann rollt er fast von allein. Ich bin schneller als auf Krücken, und die Arme werden nicht belastet. Vor Wettkämpfen lasse ich mich meist schieben, um Kraft zu sparen.

Ist es unangenehm, wenn man tiefer sitzt als die anderen um einen herum?

Das ist schon doof. Auf Veranstaltungen erlebe ich es, dass man die anderen so von unten angucken muss. Manche bücken sich herunter, das ist auch komisch. Ich habe aber viele Freunde, die im Rollstuhl sitzen. Wenn wir mal auf einer Geburtstagsparty sind, setzen sich eben alle hin. Nur draußen auf der Terrasse stehen die Leute und grillen.

Seitdem Sie fünf sind, haben Sie nur noch ein Bein. Können Sie sich noch an die Zeit erinnern, als Sie zwei Beine hatten?

Nein. Können Sie sich daran erinnern, was Sie mit fünf gemacht haben? Aber vielleicht blende ich das unterbewusst aus.

Sie hatten einen Nerventumor….

Es war ein bösartiger Tumor. Ein Arzt, der damit Erfahrung hatte, sagte: Eine Chemo hilft nicht. Das Bein muss schnell ab. Denn wenn der Tumor hochwandert, hat man keine Chance mehr. Da hat meine Mutter gesagt: Okay, dann jetzt.

Haben Sie später mit Ihrer Mutter über diesen Moment gesprochen?

Für meine Familie war es eine harte Zeit. Ich kann mich kaum an das Krankenhaus erinnern. Ich weiß noch, dass mir meine Eltern Geschichtenlieder von Schallplatte auf Kassette überspielt haben, der Traumzauberbaum. Und ich erinnere mich an eine Krankenschwester, die mir die Ohren geputzt hat, das tat unheimlich weh. Für meine Familie war es schlimm, meine Mutter sieht auf den Fotos ziemlich fertig aus.

"Wir brauchen kein Mitleid"

Startklar. Christiane Reppe bei den IPC Schwimm-Europameisterschaften 2011 im Schwimmbad an der Landsberger Allee.
Startklar. Christiane Reppe bei den IPC Schwimm-Europameisterschaften 2011 im Schwimmbad an der Landsberger Allee.

© picture alliance / Camera4

Und dann kamen Sie mit einem Bein in die Schule…

Erst mal ging es zurück in den Kindergarten. Ich weiß noch, dass eine Freundin zu mir gesagt hat: Huch, du hast ja nur noch ein Bein. Aber danach haben wir wieder miteinander gespielt. In der Schule gab es kaum Probleme. Natürlich gab es Leute, die mich aufgezogen oder über mich gelacht haben. Dann hab ich zu Hause kurz geheult und es war wieder gut. Am nächsten Tag war ich wieder ein bisschen stärker.

Haben Sie beim Sportunterricht mitgemacht?

Ich durfte mitmachen, ja. Natürlich nur bei den Übungen, die ich machen konnte. In der Realschule war ich sportbefreit. Da wurde viel Volleyball gespielt, da hatte ich keinen Bock, auf einem Bein am Netz rumzuhüpfen. Ich bin lieber zum Schwimmtraining gegangen.

Ist es beim Schwimmen einfacher, sich mit einem Bein zu bewegen?

Das schon. Aber mein Weg zur Schwimmerin war ganz profan: Es gab in Dresden einen Verein, der mich aufgenommen hat, fertig. Da konnte ich einmal die Woche trainieren mit ein paar anderen (hält die Hände hoch und macht mit ihren Fingern ein Anführungszeichen) Behinderten (Abführungszeichen).

Warum haben Sie das jetzt gemacht?

Was?

Das mit Ihren Händen?

Ach so. Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Wenn ich sage, ich habe in einem Verein mit anderen Behinderten trainiert, dann klingt das so wie: Unser kleines Schwimmfest. Ich stelle mir vor, dass es so rüberkommt.

Machen Sie das, weil Sie denken, dass wir so denken über die (Anführung) Behinderten (Abführung)?

Behinderung ist in unserer Gesellschaft ein unterdrücktes Thema. Mich nervt, wenn in Berlin an einer Straßenkreuzung Menschen ohne Beine oder Arme stehen und betteln. Da denke ich: Mein Gott, wir versuchen als Sportler, den Leuten zu vermitteln, dass wir genauso viel wert sind wie die anderen. Dann sehe ich diese Leute, und ich sehe diese Blicke der Autofahrer, die sagen: Gebt dem doch 50 Cent, diesem armen Behinderten! Das ist genau das, was wir nicht wollen. Das zieht doch unser Image runter.

Welches Image hätten Sie denn gern?

Wir brauchen kein Mitleid. Ich will auch manche Sätze nicht mehr hören: Der Behinderte ist an den Rollstuhl gefesselt. Oder: Das arme Mädchen hat nur ein Bein, aber kann trotzdem dies und das. Ja, warum denn nicht? Lasst doch bitte das Wort „trotzdem“ weg!

Haben Sie schon mal gedacht: Mit zwei Beinen wäre ich noch schneller?

Bei den Paralympics scheint es gerade eine Umkehr zu geben. Zu den Spielen in London laufen Werbekampagnen mit behinderten Athleten und dem Slogan „Meet the Superhumans“.

Naja, Übermenschen sind wir auch nicht. Aber mir gefallen die Kampagnen, ich finde das Selbstbewusste stark. Wir sind auch stark – und „auch“ muss man nicht dazu sagen. Viele sagen ja, dass bei den Paralympics der olympische Gedanke stärker im Vordergrund steht, die Leute mehr Spaß haben und alles viel echter sei. Ich weiß ja nicht, wie es bei den Olympischen Spielen ist, aber ich frage mich schon, wieso die Behinderten mehr Spaß haben sollen. Vielleicht denken ja viele Leute, wir machen das eher aus Lust und Laune, weil wir sowieso weniger Geld bekommen, wenn wir gewinnen. Das fände ich schade.

Glauben Sie, dass der BehindertenLeistungssport nicht ernst genug genommen wird?

Ja, leider. Die Paralympics sind in der Wahrnehmung nicht so wichtig wie Olympia. Die Frage ist natürlich, ob es jemals so viel Interesse für uns geben wird.

Sollen Olympia und Paralympics einmal zusammengelegt…

…Nee! Wie soll denn das zeitlich ablaufen? Einer wird immer unter den Teppich fallen, und das wären wir.

Aber es könnte ein Zeichen von Normalität sein, wenn sich olympische und paralympische Wettkämpfe abwechseln.

Es gibt solche Modelle bei internationalen Meisterschaften. Da werden wir als Zwischenläufe eingefügt. Im Fernsehen wird dann meist Werbung eingeblendet.

Haben Sie schon mal gedacht: Mit zwei Beinen wäre ich noch schneller und bei Olympia dabei?

Nein. Ich wüsste nie, was ich gemacht hätte, wenn ich zwei Beine hätte. Sicherlich wäre ich mit zwei Beinen schneller im Wasser. Aber vielleicht wäre ich gar nicht Sportlerin geworden, sondern wäre jetzt einfach so eine Dicke, die jedes Wochenende in die Disco rennt.

Schauen Sie manchmal auf andere Behinderte? Gerade beim Schwimmen sieht man Athleten, die vor dem Start erst mal die Prothesen abnehmen und auf den Startblock gehoben werden.

Ich finde das manchmal auch hart. Wir hatten mal einen Athleten im Berliner Schwimmteam, der mit 12, 13 Jahren wegen einer Wette auf eine Hochspannungsleitung geklettert war, dem ist dort der ganze Arm abgeschmort. Das ist krass. Und wenn ich jemand anderen in einem Rollstuhl sehe, gucke ich auch erst mal hin. Ich sage mir dann aber sofort: Guck den nicht so an! Du weißt es doch besser! Ich kenne diese Blicke ja. Ich sehe manchmal Leute, die stehen bleiben, mich mit offenem Mund anstarren und sich dabei total verlieren. Ich gehe dann weiter und denke nur: Alter, wie alt bist Du eigentlich? Kinder sind da anders. Sie stellen sich vor Dich hin und fragen Dich: Sag mal, warum hast Du nur ein Bein?

Frau Reppe, fühlen Sie sich schön?

Ich denke, dass ich mit meinem Körper etwas Glück hatte, ja. Mich nervt aber, dass ich keine Hosen tragen kann. Das sieht blöd aus, mit einem Bein, so umgeschlagen. Deshalb habe ich schon in der Schule viele Röcke getragen. Beim Thema Jungs hatte ich bisher echt das Glück, dass es meine Freunde nie so richtig interessiert hat. Mein Bruder hat mir mal erzählt, dass ihn ein Kumpel angesprochen hat: Hey, Deine Schwester ist hübsch – schade, dass sie nur ein Bein hat. Ich weiß schon, dass es Menschen gibt, die nicht mit einem Behinderten zusammen sein wollen. Ich hatte schon einen Freund, der auch nur ein Bein hatte. Allerdings gibt es für mich, ehrlich gesagt, Grenzen.

Denken Sie da in Startklassen?

Es gibt Leute, die so denken. Bis zu einer bestimmten Klasse würde ich gehen, drunter nicht mehr. Ich weiß auch nicht, ob ich mit jemandem zusammen sein würde, der keine Arme oder Beine hat. Ich hab’ da auch Vorbehalte. Deshalb kann ich verstehen, dass manche bei mir Vorbehalte haben. Naja, ein bisschen vielleicht.

Finden Sie es höflich, wenn Ihnen jemand die Tür aufhält, oder störend?

Mal so, mal so. Manchmal stört es mich. Aber manche machen das vielleicht nicht, weil ich auf Krücken laufe, sondern weil ich eine Frau bin. Das bin ich ja auch noch.

Christiane Reppe, 25, aus Dresden, gehört zu den 150 Athleten, die für Deutschland von diesem Mittwoch an bis zum 9. September bei den Paralympics in London starten.

Das Gespräch führten Annette Kögel und Robert Ide.

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