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Die anderen sind schneller als Oscar Pistorius (4. v. r.) - zumindest über 100 Meter.

© dapd

Paralympics-Star Pistorius: Ein Held, der verliert

Der Südafrikaner Oscar Pistorius wird im 100-Meter-Finale nur Vierter. Der Paralympivcs-Star gewinnt damit wieder kein Gold, aber neue Sympathien. Und eine Chance bleibt ihm noch.

Alle Aufnahmegeräte sind Richtung Oscar Pistorius gereckt. Der hat sich vor dem Pulk von hundert Journalisten in der Mixed Zone unten im Olympiastadion auf einen Stuhl gesetzt, seine Carbonprothesen sind zum Sprinten gut, aber beim Stehen wackelig und sie drücken. „Wir dürfen hier in London definitiv miterleben, dass sich in der Paralympischen Bewegung gerade etwas Entscheidendes ändert, was mich unglaublich emotional berührt“, sagt er laut in die Mikrofone, und wie zur Bestätigung schwillt der Anfeuerungschor der 80 000 im Stadion an.

Die Paralympics London 2012 begründen eine neue Ära im Behindertensport bei Leistungsniveau, Medienberichterstattung und Zuschauerzahlen. Und sie haben genau den Mann als bislang unbesiegbaren Heroen gestürzt, der die Spiele erst zu dem Großevent gemacht hat, die sie jetzt sind: Oscar Pistorius. Der „Blade Runner“, der als Erster mit Prothesen bei Olympia starten durfte, ist nicht länger „schnellster Mensch der Welt ohne Beine“. Am Freitagabend stand der erste Start ins letzte große Rennen an, der Vorlauf über 400 Meter. Er gewann ihn – zumindest in seiner Paradedisziplin kann er also noch Gold holen.

Seinen vierten Platz über 100 Meter quittierte Pistorius mit den Worten: „Es macht mir nichts aus, nicht auf dem Podium zu landen, wenn der Sport an sich besser und besser wird, das ist es doch, worum es geht.“ Vielleicht wurde er für diese selbstlosen Worte von einem Medienberater gecoacht, wahrscheinlicher ist aber, dass da wieder das zum Vorschein kam, was Pistorius als Weltklassesportler, Persönlichkeit und Werbeträger seit Jahren ausmacht: Fairness und Demut. Vielleicht ist es auch das Gebaren als stolzer Vater, der seinen Nachwuchs lobt, das, was ihn die Niederlagen erst ertragen lässt.

Die Zuschauer haben Pistorius beim 100-Meter-Lauf um 22.24 Uhr Donnerstagnacht begeistert empfangen – aber doch ihren Lokalmatador Jonnie Peacock, mit 19 Jahren der jüngste qualifizierte Läufer bei dem T44-Finale mit dem Ruf „Pea-cock“ aus zehntausenden Kehlen zum Sieg gebrüllt. „Pistorius ist Jonnies Held, aber er wird ihn vor den Augen der Welt schlagen“, titelte zuvor der London Evening Standard. Und so gewann Großbritannien Donnerstagnacht mit 10.90 Sekunden – der Star aus Südafrika wurde mit 11,17 Sekunden nur Vierter. Ein völlig ungewohntes Bild, lief Pistorius doch seit Jahren allen anderen vorne weg. Jetzt ist der Mann in der zweiten Reihe: Pistorius holte Gold mit Weltrekordzeit – aber mit anderen in der Staffel. Über die 200 Meter lief er Weltrekord – im Vorlauf. Im Finale deklassierte der junge Brasilianer Alan Oliveira sein Vorbild Pistorius und verdrängte ihn auf Rang zwei. Oliveira bekam jetzt einige Buhrufe zu hören, verursachte einen Fehlstart und lief dann über die 100 Meter auf der Bahn links neben dem Südafrikaner. Dass es diesmal nicht der 20-Jährige Oliveira mit seinen proportional überhohen Stelzen war, der Pistorius zum Mitläufer machte, sondern Männer mit Bein und Prothese – die Erleichterung darüber war Pistorius anzumerken.

„Das war das bislang beste 100-Meter-Rennen der Welt, und ich bin heute einfach besiegt worden von drei Athleten, die besser waren als ich“, sagte Pistorius. Da ist er wieder ganz der Elder Sportsman. „Ich habe mich mehr für meinen alten Zimmergenossen und Teamkameraden Arno Fourie (11.03) für seine Bronzemedaille gefreut als darüber, dass ich Vierter geworden bin“, spricht Pistorius nach dem Lauf. „Arno war eine meiner größten Stützen in den vergangenen Jahren, und sein dritter Platz ist so eine Segnung, den werde ich mit ihm feiern.“

Nach seiner Niederlage gegen den Hochstelzenläufer Oliveira hatte Pistorius dem Gewinner zwar auch wie ein Gentleman zum Sieg gratuliert, dann aber erneut Kritik an den IPC-Regeln zur Prothesenhöhe geübt und somit die Leistung seines Kontrahenten infrage gestellt. Dafür hatte er öffentliche Kritik kassiert.

Nach der bislang zweiten verpassten Goldmedaille im Finale war er aber wieder ganz der smarte und sympathisch auftretende Olympia- und Paralympics-Star. „Das Level des Sports wird besser und besser, Millionen und Abermillionen von Menschen rund um den Globus schätzen jetzt unseren Hardcore-Sport wert, das ist es doch, worum es geht.“

Verlierer Pistorius gewinnt also immer noch, wenn nicht Gold, so als fairer Verlierer, als Comicheld, als Nominierter für den Whang-Youn-Dai-Award. Mal sehen, ob ihn das Freitagnacht tröstet.

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