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Es wird wieder spektakulär im Londoner Olympiastadion, diesmal zur Eröffnungsfeier der Paralympics am Mittwochabend.

© Nico Feißt

Paralympics-Tagebuch (1): London ist bereit

Die Schülerredakteure, die in London die Paralympics-Zeitung produzieren, sind in der Heimat der Spiele angekommen. Und Nachwuchs-Reporter Nico Feißt bekommt vorab schon einmal einen Eindruck davon, was bei der Eröffnungsfeier passieren wird.

Die Stimmung im Flieger ist deutlich getrübt: beim Einsteigen in Stuttgart hatte es noch an die 30 Grad, und während wir London näher kommen, werden die Regenwolken dicker und dicker. "Tschüss Sommer, hallo London", murmele ich den beiden anderen Nachwuchsjournalisten zu, die mit mir fliegen. Die Nachricht, eine halbe Stunde länger in der Luft zu bleiben, muntert erst recht keinen auf, doch ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich zweieinhalb Wochen Sport der Extraklasse sehen werde. Die Paralympics, gemessen an der Teilnehmerzahl das zweitgrößte Sportevent der Welt, warten an dem Ort auf uns, an dem Tausende von Menschen Usain Bolt, Mo Farah oder den deutschen Beachvolleyballern zugejubelt hatten.

Da hierzulande das Wissen über die Paralympics rar ist, überrascht es uns umso mehr, dass wir bereits in der Luft vom deutschen Piloten einen Vorgeschmack auf das bekommen, was uns die nächsten Tage erwarten würde. Nachdem er die Leute wegen der Wartezeit vertröstet hat, schlussfolgert er: „Ich hoffe sie werden einen angenehmen Aufenthalt in London haben. Vor allem dem amerikanischen Schwimmteam, welches mit uns fliegt, wünsche ich viel Erfolg bei den bevorstehenden Paralympics.“ Ans Wetter denkt plötzlich keiner mehr: die Amerikaner bejubeln den Piloten für seine Worte derart, dass wir kurzzeitig Turbulenzen befürchten.

Am Flughafen angekommen sehen wir dann nur noch pink: An jeder Ecke, auf jedem Schild, überall deutet das pink unterlegte „London 2012“-Logo darauf hin, dass die Sportwelt sich hier die Hand gibt. Nicht etwa, weil die Briten die Reste des großen Bruders Olympia noch nicht aufgeräumt haben, sondern weil die Spiele der Behinderten in Großbritannien einen viel höheren Stellenwert haben als bei uns.

Das bekommen wir eindrucksvoll bewiesen: Nachdem uns die Presse-Akkreditierung umgehängt wurde und ich mich fühlte, als hätte ich selbst die Goldmedaille gewonnen, empfängt uns ein Volunteer, der im Rollstuhl sitzt. Er bringt uns zum Taxi und kümmert sich um unser Gepäck, doch vor allem macht er uns eins klar: Hier werden Paralympics gelebt, hier sind Behinderte so gut integriert wie nirgendwo anders. Es findet sich in der britischen Metropole wohl kaum eine Treppenstufe, an der ein Hinweis fehlen würde, wie ein Rollstuhlfahrer diese umfahren könne. Neben den vielen Paralympics-Logos und den freiwilligen Helfern ist das barrierefreie Miteinander das Nächste, was einem sofort ins Auge sticht. Über das Zusammenleben von Behinderten und Nichtbehinderten braucht sich im Gegensatz zu Deutschland keiner Gedanken machen, weil es bereits so selbstverständlich ist.

Wohin man blickt, sieht man in London aber noch etwas: Werbung. Jessica Ennis und Mo Farah, die Gesichter des „Team GB“ bei Olympia, kann ich in zwei Tagen nur einmal auf großen Plakaten erkennen, während ich so langsam Dutzende von britischen Paralympics-Athleten auf Anhieb mit den von ihnen beworbenen Produkten in Verbindung bringe. Nicht die Fußballer, nicht die vielbejubelten Olympioniken, sondern die Behindertensportler prägen die Reklamewelt. Die üblichen Quoten-Sportarten haben zumindest vorübergehend nur eine Nebenrolle.

Vorgeschmack auf die Eröffnungsfeier

Die ganze Stadt freut sich auf das Ereignis. Kommentare wie: „Cool, ich habe zum Glück noch Karten bekommen.“, sind gang und gebe. Ein Radsportfan sagt uns, dass das Velodrom das beste Stadion der Welt sei, ein anderer legt uns nahe, bloß nicht das Eröffnungsspiel im Rollstuhlbasketball zwischen den Gastgebern und Deutschland zu verpassen.

Unsere Euphorie erhält aber einen Dämpfer, als wir auf Zuschauerwegen den Olympia-Park besuchen: 25 Minuten Fußweg von der Unterground-Station bis dorthin, Rollstuhlfahrer brauchen „nur“ 18. Der erste von knapp zehn Sicherheitsmännern beäugt uns komisch, als wir am Sonntagabend gegen 18 Uhr dort aufkreuzen, schließlich würden die Paralympics ja erst am Mittwoch eröffnet werden. Wir wollen die Stadien aber zumindest von außen besichtigen, um im Stress der Spiele alle Wege zu kennen. Als wir dann den Orbit, das „Wahrzeichen“ des Olympia-Parks, und das Olympiastadion vor uns sehen, wollen wir natürlich auch rein.

Und jeder, der uns kontrolliert, lässt uns ohne Murren durch, und unsere letzte Hürde, ein großer Sicherheitsmann direkt am Stadioneingang, ist ohne Mühe überwunden. So einfach kommt man in ein Olympiastadion!

Nico Feißt (links) und Dominik Prüfer auf Schleichwegen.
Nico Feißt (links) und Dominik Prüfer auf Schleichwegen.

© privat

Wir sind noch fasziniert von der aufgebauten Kulisse, als uns einer der freiwilligen Helfer mit bestem englischen Humor anspricht: „Eigentlich dürft ihr nicht hier sein, aber ihr seht ja, wie gut die Security arbeitet.“ Auch wir sind überrascht: Hätten wir gewusst, dass wir nicht hier rein dürfen, hätten wir es wohl nicht geschafft. Anfängerglück vielleicht. „Ich gebe euch einen Tipp: In einer Stunde ist hier Generalprobe. Wenn ihr euch einen guten Platz sucht, könnt ihr die ganze Show vorab schon sehen.“ Sollten wir gehen, weil wir als Journalisten nicht hier sein dürfen? Nach kurzem Zögern befolgen wir den Plan des Engländers, der uns stolz noch berichtet, dass er bei der Eröffnungsfeier für Olympia ebenfalls mitgewirkt hatte.

Was wir dann zu sehen bekommen, will ich nicht verraten, nur eins kann ich vorwegnehmen: Niemand, der heute um 22 Uhr ARD einschaltet, wird es bereuen. Selbst meinem Kollegen, der eingefleischter Heavy-Metal-Fan ist und auch so aussieht, stehen die Tränen in den Augen, ganz zu schweigen von der Gänsehaut, die uns noch jetzt begleitet. Für die Momente, die wir dort im Stadion erleben, gibt es viele Adjektive: faszinierend, atemberaubend, unglaublich. Doch als die Aerobility, eine Flugschule, die behinderte Menschen zu Piloten ausbildet, ihren angekündigten Auftritt hat, wissen wir was das Ganze ist - magisch. Die Darsteller neben uns kommen wie wir aus einer Mischung aus Faszination und Freude nicht heraus. Lachen müssen wir, als die Queen und Prinz Philipp begrüßt werden und ihre leeren Stühle auf den Monitoren erscheinen.

Erst als beim Einmarsch der Nationen Canada und Cap Verde einlaufen, werden wir aus unserer Faszination gerissen und eine Dame bittet uns, absolut not amused, aber dennoch höflich, nach draußen: „Presse? Ihr solltet nicht hier sein. Schließlich könntet ihr ja darüber berichten.“ Dieses Erlebnis nimmt uns mit Sicherheit keiner!

Nico Feißt

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